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Kapitel 2: Gartenpflege, Landschaftsbau, Einmachen und Konservieren

Das Thema Ethik scheint ein wiederkehrendes zu werden in dieser Projektreihe. Rafael Capurro, unser erster Wissenschaftler, ist Informationsethiker. Aber das hat sich nicht weiter ausgewirkt.

Bei Baubotanik, im zweiten Kapitel, kam dafür sehr schnell, schon beim Einzug, die Frage aus dem Publikum, ob die Baubotaniker eigentlich einen ethisch vertretbaren Umgang mit Pflanzen betreiben und propagieren. Schließlich ginge es ja um die Instrumentalisierung und Konditionierung von Lebewesen im Interesse der menschlichen Technik. Überwallen und Verwachsen von Pflanzen gegen ihre Natur. (Aber wer kennt die schon?) Die von mir ins Rennen geworfene Formulierung Monsterbotanik hat sicherlich nicht geholfen, die Front zu entschärfen. Bei den Besprechungen zwischen Monstertruck und Baubotanik ging es dann auch sehr schnell schon wieder um Gewalt, um Schraubzwingen an Baumstämmen und Stahlstifte die Äste durchstoßen, um die Baumvergewaltigung aus „Evil Dead“ und um die berüchtigte Bambusfolter.

Als bei der botanischen Shakespeare-Inszenierung der Tod der Figuren den Tod der botanischen Darsteller, nämlich eines Buchsbaums, nach sich zogt, wa es scchon wieder da: die Grenzen der Freiehit der Kunst gegenüber Bäumen. Wir hatten vermutlich einen Präzedenzfall geschaffen, die erste Baumhinrichtung auf einer Bühne. Aber was ist mit den Tonnen von Bühnenbildholz, die alljährich an deutschen Stadttheatern verbaut und anschließnd verfeuert werden?

Als Andreas Liebmann und ich uns vor ein paar Tagen für das 3. Kapitel über interessante Themen zwischen Ernährung und Ästhetik unterhielten, kamen wir sehr schnell auf das Problem der Verschendung von Lebensmitteln, nicht nur im Theater. Sahar Rahimi hatte im Einzug des 2. Kapitels gesagt, dass ein Reiz des Theaters ja auch der sei, dass man unnütze oder unvernünftige Dinge tun können, wie zum Beispiel Essen sinnlos zu vernichten. Ein Reiz, dem Monster Truck regelmäßig erliegen. Was wäre, wenn man einen Spieleabend mit frischen Lebensmitteln ansezte? Oder einen Brotschieterhaufen? Was wäre die Vernichtung von 15 Kilo Brot gegen die Zerstörung eines Holzstuhls auf der Bühne? Ethisch betrachtet?

Ich frage mich, ob das Wiederkehren ethischer Fragen, im Wesen dieser Zusammenarbeiten liegt. Klar ist, dass ethische Erwägungen in der Wissenschaft eine wichtige Rolle spielen, sowohl was die Methode (medizinische Versuche) als auch die Folgen betrifft (Atomforschung). In der Kunstproduktion, würde ich behaupten, kommt das Problem marginal vor: bei den genannten Gewalttaten auf der Bühne (sehr marginal), bei Persönlichkeitsrechten in den erzählenden Kunstgattungen (heute zwar beliebt, aber ehrlich gesagt auch eher Einzelerscheinungen), bei der Verletzung des Betrachtergefühls (wird immer weniger).

Was wäre denn für das Methodenproblem in der Wissenschaft die Entsprechung in der Poetik? Schauspieler, die von ihren Regisseuren gezwungen werden, sich mit Nutella einzuschmieren? Ist dann der Schauspieler das Objekt der Kunst, wie das Kaninchen das Objekt der experimentellen Forschung? Oder die Gefühle des Zuschauers, wenn der Darsteller sein Genital über der ersten Reihe schwingt? Dann wäre der Zuschauer das experimentelle Objekt.

Liegt der Grund darin, dass Kunst tendentiell mit einem ethisch urteilenden Blick auf die akademische Wissenschaft blickt? Warum sollte sie?

Oder dass unser Setting – irgendwo zwischen Infotainment, Kunst und Diskurs – die wissenschaftliche Praxis plötzlich in einem ethisch zweifelhaften Licht erscheinen lässt? Macht dieses Licht im Labor der Rampe andere Dinge sichtbar?

Ich vermute, dass es eine Frage des Blicks ist. Des Blicks der KünstlerInnen auf die wissenschaftliche Praxis, der zum einen Oberflächen in den Fokus nimmt, die dem Blick der WissenschaftlerInnen entgehen – zum Beispiel die visuelle Prägnanz eines von glänzendem Stahl durchstoßenen grünlichen Stamm -, und zum anderen die Symboliken und ästhetischen Analogien der wissenschaftlichen Praxis wahrnimmt – zum Beispiel die moralisch emotionale Aufladung von Lebensmitteln.

JP

Die beiden ehemaligen Kopisten Bouvard und Pecuchet sind auf ihrem neuerworbenen Landgut im Calvados eingetroffen. Voller Genugtuung und Tatendrang inspizieren sie am Morgen ihr Reich. Doch schon bald steht fest, dass auf den an einen Landwirt verpachteten Gütern einiges nicht zum Besten steht. Der Pächter wird rausgeworfen und unsere beiden heroischen Dilettanten machen sich an die Arbeit.

Garten, Felder, Hof – nach vier Jahren haben sie das Unternehmen heruntergewirtschaftet. Den beiden frischgebackenen Landwirten brennt die komplette Weizenernte ab und eine mühsam gezogene Obsternte wird vom Unwetter zerhagelt:

Welch ein Bild, als sie den Schaden besichtigten! Kirschen und Pflaumen bedeckten das Gras zwischen den schmelzenden Hagelkörnern. Die Passe-Colmar waren hin, ebenso die Bési-des-Vétérans und die Triomphes-de-Jordoigne. Kaum daß von den Äpfeln ein paar Bons-papas übriggeblieben waren – und zwölf ››Venusbusen«, die gesamte Pfirsichernte, rollten in den Wasserlachen neben den entwurzelten Buchsbäumen umher.“

Beinahe vier Jahre sind da bereits ins Land gegangen. Vier Jahre, in denen sie alles selbst und vor allem möglichst alles anders gemacht haben. Jetzt sind sie pleite. Was nun? Der Notar rät ihnen zum Verkauf, aber Bouvard und Pecuchet zögern.

Um die vom Unwetter zerstörten Flecken im Garten wieder herzurichten, wenden sie sich der Gartenarchitektur zu. Sie lesen die Klassiker der Gartenliteratur der Neuzeit – „La Maison Rustique“ von Charles Etienne, den Comte de Gasparin, Jules Rieffel, Pierre Boitard – und entflammen erneut, diesmal für die romantische, die schreckliche, die fantastische – „deren schönstes Beispiel man unlängst in einem Park in Württemberg bewundern konnte“ – die philosophische und melancholische Gartengestaltung. Auf ein Neues! Am Ende dieses Abenteuers laden sie die Honoratoren des Dorfes zum Diner und präsentieren ihr Wunderwerk. Doch die Inszenierung floppt.

Schließlich bleibt ihnen keine andere Wahl, als dem gleich zu Beginn mit Schimpf entlassenen Pächter wieder den Hof zur Bewirtschaftung zu überlassen. Übrigens zu einem deutlich günstigeren Pachtzins. Dafür müssen sie nicht verkaufen – noch nicht.

Ein letztes Ass haben sie noch im Ärmel: Sie kreieren und brauen einen Schnaps, wie ihn die Normandie noch nicht gesehen hat. Er heißt: Bouvarine. Vielleicht das uneheliche Kind von Flauberts Helden Bouvard und Madame Bovary…

 

JP

Grabesrede
 zur Beerdigung/Einpflanzung von Julia und Romeo
auf dem Grünstreifen gegenüber des Theater Rampe in Stuttgart 

 

Es ist nicht so, dass diese Anordnung aus Stechpalme und Scheinzypresse dem Zweck unterliegt, in erster Linie wie alle umgebenden Bäume, eine sinnhafte und stabile Einheit auszubilden damit durch sie ein bestimmter Nutzen für den Menschen erreicht wird. Vielmehr bilden sie das
›monsterbotanische Gefüge‹ aus, das sich aus den miteinander überwallenden Pflanze, ihren
technischen Bauteilen (den Schrauben) sowie aller verwendeten theatralischen Materialien einstellt.
›Monsterbotanische Gefüge‹ sind Materialsysteme, die es allen Beteiligten ermöglichen sollte, sich
als ›Fügende‹ in ihrer jeweils spezifischen Formen hervorzutun. Genau genommen bringen
›monsterbotanische Gefüge‹ je nach aktuellem Zustand ihres Wachstums und je nach den an sie
gestellten Anforderungen jeweils den Konstruierenden, Beleuchtenden, Gießenden, Übertitelnden,
Düngenden, beschallenden, Sägenden oder betrachtend Ruhenden Menschen hervor, der einen
wesentlichen Teil seiner ›künstlerischen Gestaltungshoheit‹ an die Pflanze abgegeben hat.
Indem sie diese durch ihr Austreiben und mögliches Verwildern selbst über den Zeitraum ihres
Wachstums hinweg ausübt, reicht jedoch nicht aus, sich beobachtend ›neben‹ die Pflanze zu stellen und zu versuchen, die Prinzipien zu erfassen, die ihr Wachstum bedingen, um sich dann entwurflich möglichst eng an diese ›anzuschmiegen‹. Das machen die beiden Pflanzen schon selbst. Vielmehr gilt es, die Verhältnisse zu bestimmen, die zwischen botanischen, technischen, kulturellen und anderen gesellschaftlichen Bedingungen vorherrschen.
Denn die Verhältnisse des Kontexts sind das ›Substrat‹ des Theaters wie das der Botanik . Es gilt,
das Risiko einzugehen, in die Gräben, die sich bei derartigen Aktionen ›auftun‹, einen ›kunstvoll
konstruierten Anfang‹ eines monsterbotanischen Stücks einzupflanzen, welches jedem Graben
(mehr oder weniger schnell) ›ent-sprießen kann‹.

AMEN.

 

Hannes Schwertfeger
Bureau Baubotanik
Stuttgart, am 22.12.2013

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Am

22.12.2013 um 18:00

präsentieren Baubotanik und Monster Truck ihre Arbeitsergebnisse der etwas über dreiwöchigen Zusammenarbeit.

Veranstaltungslink

Ausgehend vom 2. Kapitel aus Flauberts Roman, das den Themen Ackerbau, Landwirtschaft, Gartengestaltung und Lebensmittelverarbeitung gewidmet ist, forschten die beiden Kollektive aus Stuttgart und Berlin über die Eigenzeit der Botanik, extrem lange Performances, Fragilität und Unvorhersehbarkeit in der Architektur und der Kunst und über Gewalt und körperliche Versehrtheit von Pflanzen und Menschen. Was letztlich Gegenstand des öffentlichen Experiments sein wird, entzieht sich der Kenntnis des Kurators…

Es dürfte Wildwuchs werden.

 

Mit dem öffentlichen Experiment von Monsterbotanik verabschieden wir uns auch in die Weihnachtspause.

Weiter geht es erst am 12. Januar 2014, dann mit dem 3. Kapitel und Ernährungswissenschaftler HK Biesalski und Performer, Autor und Regisseur Andreas Liebmann.

JP

 

Wir sind das nächste Mal live zu erleben im Labor des Theater Rampe am Mittwoch, den 18.12., wie immer ab 17:00 Uhr.

Diesmal bekommen wir um 19:00 Uhr Besuch von Hans-Jürgen Kugler, seines Zeichens Chief Scientist bei dem privatwirtschaftlichen Beratungsunternehmen Kugler Maag Cie. „Chief Scientist“ ist natürlich ein sehr schöner Begriff, eine Art Wissensschaftshäuptling. Wir freuen uns drauf! Was sich genau dahinter verbirgt, und was IT, Change Management, Baubotanik und Langzeit-Performance miteinander zu tun haben – mehr am Mittwoch im Labor.

 

JP

Pflanzenfund von Hannes Schwertfeger:
Die Alraune ist eine mythische Menschenpflanze, oder auch ein Pflanzenmensch, wie man will. Um 1300 glaubte man sie mit Hunden finden zu können. Mandrake heißt die Pflanze auf englisch, etwa bei Shakespeare, was etwas offensichtlicher ist. Im Mittelalter glaubte man, sie wächst unter Galgen und zwar aus dem Sperma und Blut von Gehängten. Wie kommt das Sperma der Gehängten in den Bode, wäre so eine Frage. Fakt ist jedenfalls, dass sie sehr ungenießbar bis giftig ist. Wikipedia schreibt: „Die Wurzeln der Alraunen sind fleischige, dicke Pfahlwurzeln, die oftmals gegabelt sind und dadurch nicht selten einer menschlichen Gestalt ähneln.“

http://de.wikipedia.org/wiki/Alraune_(Kulturgeschichte)

sieht nett aus:

JP