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Volks*theater

Magda Agudelo suchte im Rahmen ihrer #TAKECARERESIDENZ nach Bühnen im öffentlichen Raum: Was für ein Theater braucht Bad Cannstatt, der älteste Stadtteil Stuttgarts? Welche Geschichten wollen die Bewohner*innen erzählen oder sehen? Welche Formate passen zu diesen Geschichten? An welchen konventionellen oder alternativen Orten finden diese Geschichten ihren Platz? Hier ein kurzer Arbeitsbericht der Künstlerin:

Magda Agudelo ließ sich bei der Recherche „Volks*theater – Vision für Cannstatt“ von einem Satz aus Peter Brooks Der leere Raum inspirieren: „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist“. Den Satz formulierte sie für das Projekt folgendermaßen um: „Man kann unzählige Räume nehmen und zum Ort des performativen Geschehens umfunktionalisieren. Eine komplette Stadt kann zur Bühne gemacht werden.“

Der Schwerpunkt des Projekts war die Suche nach „Bühnen“ im öffentlichen Raum im Stuttgarter Bezirk Bad Cannstatt. Es ging auch um das Identifizieren von Themen, die für dieses Stadtgebiet wichtig sind und mit performativer Kunst behandelt werden können. Bad Cannstatt hat eine komplexe Überlappung von historischen Entwicklungen: von keltischen Fürstengräber über die Römer um 90 n. Chr., die Zeit der Industrialisierung mit metall- und steinverarbeitender Industrie, die Erfindung des Benzinmotors und die erste Büstenhalterfabrik. Sie war im 18. u. 19. Jahrhundert eine wichtige Hafenstadt und auch ein international bekannter Kurort mit orthopädischen Heilanstalten und Hautkliniken. Dabei spielten ihre Heil- und Mineralwasserquellen eine wichtige Rolle.

Parallel zur thematischen Recherche wurde der Bezirk besichtigt und zahlreiche Orte als potenzielle Bühnen identifiziert, aufgelistet und fotografiert. Es folgte eine Intervention auf digitalen Karten. „Bühnen“ in Parkanlagen, an den zahlreichen Brunnen des Bezirks, in der Altstadt, im damaligen Steinbruch – heute Travertinpark – und am Neckar wurden verortet. Dieses Material befindet sich in dem „offenen Arbeitsbuch „Bad Cannstatt – ein Ort für performative Kunst““. Dieses soll als Inspiration für performative Kunst im öffentlichen Raum dienen und eine partizipative Auseinandersetzung mit dem Bezirk und dessen Einwohner*innen, sowie eine transformative Wirkung oder eine Wiederbelebung der Orte anstoßen.

Während der Residenz hat Agudelo die Faszination für die urbane Landschaft – mit all ihren Phänomenen, ihrer Schönheit, ihren Prozessen, ihren Wiedersprüchen – wieder entdeckt. Ihre Vision für Bad Cannstatt ist ein laufendes Programm mit Darbietungen verschiedener performativer Kunstrichtungen. Sie will eine interdisziplinäre, performative Kunstpraxis in Bad Cannstatt etablieren.

Mehr über die Recherche auf der Website der Künstlerin: www.magda-agduelo.de


Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR. Der Fonds Darstellende Künste hat im Rahmen seines Programms #TAKETHAT ein Förder-Modul für Künstler*innen-Residenzen an Theaterhäusern eingerichtet, die im Bundesnetzwerk FLAUSEN+ organisiert sind. So kann auch das Theater Rampe 13 Künstler*innen aus seinem Umfeld diese #TAKECARERESIDENZ ermöglichen und begleiten.

Am Freitag, den 19.03.2021, feierte der Vlog MP, PLACE TO BE des Jungen Volks*theaters seine Online-Premiere. Im Vlog geht es um den Marienplatz und alles, was es darauf gibt – oder geben könnte. Die fünf Ensemble-Mitglieder entwerfen in ihren Rollen als Youtube-Kunstfiguren ihre eigene Marienplatz-Vision und führen die Zuschauer*innen in eine verrückte Zukunft der Stadt.

So tritt Lajla Durakovic als Expertin für Entspannung und Beauty auf, die den Marienplatz als große Wellnes-Oase vorstellt. Sie zeigt, dass es sich bei der Treppe des Marienplatzes um eine Wärmetreppe handelt, deren Nutzweise sie ihren Zuschauer*innen auch gleich demonstriert. Candy Lee Kimberg berichtet von ihrer Leidenschaft für Musik und präsentiert, wie einen der Brunnen am Marienplatz wie Beyoncé singen lässt. Nebojša Stojanović tritt als Gamer auf und präsentiert die technischen Innovationen des Platzes: In der Zacke sieht er eine fahrbahre LAN-Partys, den Mülleimer bestimmt er als Virenscanner.

In Batuhan Kars Video erscheint derselbe Mülleimer als Fotobox. Als Fashionblogger klärt Batuhan seine Follower*innen darüber auf, welche versteckten Schätze der Marienplatz für Modeinteressierte birgt. Eine Bluetooth-Box, die aussieht wie ein Stein und Tanzeinlagen auf den Aerobic-Treppen mit Publikum finden die Zuschauer*innen bei Joel Hakelberg, in dessen Video sich alles um das Tanzen dreht. Auf diese Weise entstehen fünf Paralleluniversen, in denen der Marienplatz mit einer jeweils eigenen Welt überschrieben wird.

Das Junge Volks*theater ist ein Kooperationsprojekt mit der Schickhardt-Gemeinschaftsschule und dem Jugendhaus Heslach unter der Leitung der Theaterpädagoginnen Siri Thiermann und Larissa Probst. Der erste Probenteil fand in der Schickhardtschule und im Theater Rampe statt. In den Proben entwickelte das Ensemble in Improvisationen und Theaterübungen szenisches Material, lernte Grundlagen des Theaterspielens kennen und betrieb Feldforschung auf dem Marienplatz.

Aufgrund des Lockdowns wurden die Proben schließlich ins Digitale verlegt. Auch hier wurden Ideen gesponnen, wurde Theater gespielt und schließlich die Idee des Vlogs geboren. In den Online-Proben schrieben die Ensemble-Mitglieder am Drehbuch, recherchierten und analysierten Vlogs aus dem Internet und entwickelten ihre verschiedenen Marienplatz-Welten. Mit ihren eigenen Handys drehten sie schließlich die Videos.

Wer den Vlog noch besuchen möchte: Der Link kann unter karten@theaterrampe.de angefordert werden.

Seit Anfang Dezember heißt es auf dem Marienplatz: „Suppe für alle“. Immer sonntags lädt die Bürgerstiftung Stuttgart in Kooperation mit dem Ensemble des VOLKS*THEATER RAMPE von 12 bis 13 Uhr zum Essen auf dem Marienplatz ein. Zur kostenlosen, warmen Suppe in Gläsern gibt es Gedichte oder Zeichnungen des VOLKS*THEATER-Ensembles to go!

Die Aktion knüpft an die jährliche Vesperkirche an, bei der Essen kostenlos oder für kleines Geld verteilt wird. So wird jedes Jahr ein Treffpunkt für viele verschiedene Menschen geschaffen und darüber hinaus Unterstützung für Bedürftige geleistet. Durch die Aktion sollen Stuttgarter*innen für die Situation von Menschen in prekären Lebenslagen sensibilisiert werden. Da die Essensausgabe auf diese Weise aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Winter nicht möglich war, ist die Essensverteilung mobil geworden und hat sich über die gesamte Stadt verteilt.

Das VOLKSTHEATER stieß auf die Aktion und beschloss, dass es auch am Marienplatz eine mobile Essensausgabe geben solle. Also wurde ein Wagen gestaltet, der nun jeden Sonntag zum Marienplatz gebracht wird. Verschiedene Mitglieder des Volkstheaters engagieren sich dabei – auch künstlerisch, indem sie zusätzlich zur Suppe auch selbstgeschriebene Texte und Gedichte to-go anbieten und sich manchmal zu spontanen künstlerischen Aktionen verleiten lassen. Damit sind sie jedoch nicht alleine – auch andere Helfer*innen steuern von Zeit zu Zeit eine Gesangseinlage bei.

Viele Helfer*innen begleiten diese Aktion: Der Eintopf im Glas wird im Januar gekocht vom Gasthaus Das Lehen und im Februar vom Da Loretta. Tatkräftig unterstützt wird die Aktion auch vom Verein Helfende Hände e.V., einer Initiative im Gebrüder Schmid Zentrum.

Für alle, die TAG Y, die Telefonperformace des VOLKSTHEATER RAMPE verpasst haben und für alle, die die Arbeit des Ensembles interessiert, gibt es nun die Audiodokumentation zum Making-Of der Performance und zur Gründung des VOLKS*THEATER-Ensembles.

VOLKS*THEATER RAMPE ist ein langfristig angelegtes Partizipationsprojekt, ein Nachbarschaftstheater aus Stuttgart-Süd, das zu historischen und aktuellen Geschichten aus dem Viertel recherchiert und gemeinsam Aktionen im öffentlichen Raum realisiert. Der Recherche-Prozess zum ersten großen Projekt und die Reflektion ist in drei Beiträge gegliedert.

TEIL 1 Das VOLKS*THEATER recherchiert in S-Süd

Was ist ein Platz und wofür wollen wir ihn nutzen?

Wir nehmen das Theater zum Anlass, unsere Nachbar*innen kennenzulernen, und sprechen breit gestreut mit Menschen aus dem Viertel über den Marienplatz: So hören wir davon, wie Hitler die Tübinger Straße entlangfuhr, von Angriffen auf die Kunst, von Aktionen der RAF in S-Süd, Entmietungen, von den immer mehr Raum einnehmenden Autos, von einer grünen Terrasse vieler Nationen, von Erlkönigen, von einem Botanischen Garten auf dem Marienplatz bis hin zum Tyrannosaurus Rex.

TEIL 2 Der erste Auftritt des VOLKS*THEATER RAMPE am Telefon

 „Hallo? Schön, dass Sie drangehen. Sind Sie bereit, können Sie mich gut hören?“ Lassen Sie sich von einem Zusammenschnitt unseres Stückes Tag Y auf eine kleine Reise durch Stuttgart-Süd mitnehmen.

Vom Theater Rampe aus, an der Kolbstraße vorbei, die Heusteigstraße entlang geht es die Römerstraße hinunter und weiter zum Marienplatz. Hören Sie „Geschichten, von denen wir annehmen sie sind wahr, die wir besser finden, die nicht vergessen werden dürfen“. Sind Sie bereit?

TEIL 3 Das VOLKS*THEATER redet über Ensemblearbeit

Alles fing an mit einem Bauwagen auf dem Marienplatz, hier haben wir uns alle kennengelernt.

Das Ensemble des Volks*theater redet über die gemeinsame Arbeit: Wie hat es angefangen und wo sind wir jetzt gelandet? Was ist bei uns hängengeblieben? Wie hat uns die gemeinsame Arbeit verändert? Oder hat sich S-Süd verändert?

Eine Audio-Dokumentation von Philine Pastenaci

Mit dem Volks*theater Ensemble: Magda Agudelo, Robert Atzlinger, Rosa Elidjani, Sara Dahme, Efthimios Gongos, Nina Gühlstorff, Dorothea Karapanagitidou, Justyna Koeke, Tanja Krone, Laurenz Leky, Paula Kohlmann, Conny Krieger, Moritz Martin, Philine Pastenaci, Farmanullah Qalandari, Amir Saadat, Benyamin Saadat, Alexander Sowa, Paria Tavakoli, Mehdi Tavakoli, Britta Wente

Gesprächspartner*innen: Siegfried Bassler, Wolfgang Jaworek, Gertrud Fischer, Gunda Wolta, Daniel Link, Paul Epp, Ingrid Bauz, Hans-Jürgen Lang, Berivan

Besonderer Dank gilt Samira Messner, Tomislav Knaffl und Medina Mohamed, die uns einen Teil unseres Weges begleitet haben.

VOLKS*THEATER RAMPE ist ein Nachbarschaftstheater aus Stuttgart Süd, dass sich mit aktuellen Themen und Fragestellungen im Viertel beschäftigt. Auch dem 15-köpfigen Nachbarschafts-Ensemble aus Stuttgart Süd, dem VOLKS*THEATER RAMPE, fällt es schwer, die Füße stillzuhalten. Über die Einladung von Andreas Vogel ins RAKETENRADIO XXL, haben sie sich daher sehr gefreut: Ab sofort gibt es monatlich kleine Beiträge in der Webradioshow, die live aus der Rakete sendet: Stimmen aus Stuttgart-Süd passend zur aktuellen Sendung. Am 12.11. gab es einen ersten gutgelaunten Beitrag zum Thema schlechte Laune. 

Die Mitglieder des VOLKS*THEATER-Ensembles zeichnen in einer Umfrage auf dem Marienplatz ein Bild von der Gefühlswelt der Menschen, die ihn bevölkern: Damit bleibt das Volks*theater seinem Grundgedanken treu, den Marienplatz besser kennenzulernen und mit der Nachbarschaft des Theater Rampe ins Gespräch zu kommen. Alte Menschen, junge Menschen, ein Taxifahrer, Schüler*innen, Imbissbudenbesitzer*innen – jede*r kommt zu Wort. Obwohl die Gemütslagen der Passant*innen sehr verschieden sind, bleibt doch ein recht zufriedener Gesamteindruck, schließlich ist das Wetter schön. Die alltäglichen Eindrücke vom Marienplatz können dem*der ein oder anderen schlecht gelaunten Zuhörer*in ein Lächeln aufs Gesicht zaubern – da sind wir uns sicher:

Das RAKETENRADIO geht das nächste Mal am 13.12. auf Sendung – mit einem Weihnachtskonzert CHRISTMAS TIME IS HERE!, einer Benefizsendung mit Max Braun, BRTHR, Long Lost Souls, Los Santos & Tremolettes.

Freitag, der 13. war in unserem Falle ein Glückstag. Endlich konnte das JUNGE VOLKS*THEATER nach einer langen (coronabedingten) Pause die Arbeit aufnehmen und eine erste Probe stattfinden lassen.

Bei diesem Projekt arbeiten wir mit jungen Menschen zusammen und wollen gemeinsam ein Theaterstück zum Thema „Marienplatz“ auf die Bühne des Theater Rampe bringen. Bereits in der ersten Probe war die Ideenwerkstatt in vollem Gange – einige Teilnehmer*innen brachten schon ihre ersten Ideen mit. Ein professionelles Filmset mit Greenscreen wurde aufgebaut, eine komplette Nachrichtensendung aufgenommen und die Teilnehmer*innen konnten sich selbst und die anderen in Aufwärmspielen besser kennenlernen. Außerdem wurde eine „Schatzkiste“ mit allen Ideen angelegt, auf die wir im Laufe der Proben immer wieder zurückgreifen können. Alles in allem ein erfolgreicher Auftakt mit motivierten Schüler*innen, der definitiv Lust auf mehr machte!

Foto: Nina Gühlstorff

Der vierte Tag des Volks*theaters, 28.06.2019 – Denkwerkstatt! Mit den vergangenen Abenden, Performances, Inputs, der Musik und zahlreichen Gesprächen als Basis, stehen Fragen im Raum:

Welche Offenheit benötigt ein Volks*theater? Ist eine Leitung notwendig? Oder sollte diese gezielt abgegeben werden? Wäre es fahrlässig, ein Volks*theater leiten zu wollen? Soll sich das entstandene Volks*theater alleine weiterentwickeln? Oder ist es eigentlich eine Inszenierung des Theater Rampe?

Wie schafft es Theater, keine Identitätspolitik zu verhandeln, sondern ein gesellschaftliches Miteinander zu erzeugen?

Was kann man aus dem Feedback aus der Recherchephase – Relevanz der Kostenfrage, zeitökonomische Priorisierungsnotwendigkeit, Vereinbarkeit von Familie & Theaterbesuch, ein Theater auf dem öffentlichen Platz – nun ein Volks*theater gestalten?

Wie schafft man den Übergang aus der Recherche-Phase zum Volks*theater-Ensemble? Wie kriegt man die immense Diversität der vergangenen Wochen überführt in einen für alle Seiten bereichernden, produktiven Austausch? Wie können Theaterlaien und Theaterprofis künftig miteinander arbeiten? Wie werden Expert*innen künftig definiert?

Wie kann eine hybride Theaterform erzeugt werden?

Welche Formate eignen sich?

Welcher Ort eignet sich für das Volks*theater?

Nach zahlreichen Gesprächen auf dem Marienplatz haben es letztlich nur Wenige zur Open-Space-Phase auf die Bühne geschafft – die meisten davon mit Theater- und Kunsterfahrung. Was bedeutet das für das Volks*theater?

Wie können die zahlreichen Möglichkeiten der Fortführung miteinander vereint werden? Wie vermeidet man bei Open-Stage-Abenden Willkür? Soll jemand ein Thema setzen und versuchen, möglichst viele unterschiedliche Beteiligte darunter zu fassen?

Haben wir die finanziellen Mittel, das Volks*theater weiterzuführen? Wollen wir das überhaupt?

Doch zunächst wird Positionierung erfordert: Ich bin das Volk! Wir sind das Volk! Theater muss authentisch sein! Theater muss zweckfrei sein! Theater ohne Publikum ist kein Theater! Theater muss politisch sein! Theater muss lustig sein! Theater muss kostenlos sein! Das Theater Rampe muss kostenlos sein (– die Intendanz stimmt zu)! Ich möchte selber gerne auf einer Bühne stehen! Ich fühle mich auf der Bühne des Staatstheaters Stuttgart repräsentiert! Ich fühle mich auf der Bühne des Theater Rampe repräsentiert! Ich glaube, dass Theater eine Emotion auslösen kann! Theater muss auf einer Bühne stattfinden! Gibt es ein Theater für alle? Ich weiß, warum so viele Leute nicht ins Theater gehen!
Das Publikum wird aufgelöst und steht plötzlich selbst auf der Bühne. Und bevor jemand mit seiner Antwort alleine dasteht, wechselt ein*e andere*r auch mal aus Solidarität die Seite.

Themensammlung für den Abend:

VOLK* – Theater für alle – Identität

Mobilität – Stadtentwicklung – Umweltschutz – Veränderung

Veränderung! – Was wollen wir bewahren? Was wollen wir verändern?

Was ist die Ressource Theater?

Demokratie – Effizienz von demokratischen Prozessen? In welchen Strukturen wollen wir Theater machen?

Welt ohne Geld – von Marktorientierung zu Bedürfnisorientierung

Theater im Theater? Theater im öffentlichen Raum?

Zeit

Schuld

Ermächtigung + Handlungsfähigkeit

Zugänglichkeit

Verteilung

Und schließlich: Präsentation!

VERTEILUNG & ZUGÄNGLICHKEIT

Unter den Stichworten Verteilung und Zugänglichkeit wird vom Theater der Zukunft sinniert: Es gäbe kein Geld mehr, das Theater wäre gemeinsames Eigentum, Güter sowie Aufgaben würden im Kollektiv verteilt, die Zugänglichkeit gesichert! Dies führte zu Ermächtigung, Handlungsfähigkeit, Mitbestimmung.

Auf das Theater von heute übertragen, steht fest: Das Publikum muss eingeladen werden, mitzuentscheiden, mitzustimmen, Teil zu sein. Häufige Teilhabe führt zu Selbstermächtigung, häufiges Tun führt zu mehr Handlungsfähigkeit.

Eine weitere Idee: Durch die Einladung zum gemeinsamen Essen (Ressourcenteilung – Verteilung im Kollektiv) wird die Schwelle zum Theater niedrig angesetzt. Geteilte Ressourcen: begonnen beim Essen werden schließlich Gedanken geteilt.

„DAS THEATER ALS MODELL FÜR EINE GESELLSCHAFTLICHE STRUKTUR“

(Teilhabe am) Theater und (Teilhabe an der) Gesellschaft bedingen sich gegenseitig.

 

VERÄNDERUNG

Die Frage nach Veränderung ist verbunden mit der Frage nach dem Leidensdruck: Wie viel muss passieren, wie schlecht muss es einem gehen, damit Veränderung möglich ist? Wann ist das Maß voll? Wo liegt die Schmerzgrenze? Und warum gelten jene, die Veränderung wollen oder fordern oft als Spinner oder bekommen den Stempel der Rückständigkeit aufgedrückt?

Für die Form des Theaters bedeutet das: Wer Veränderung anstoßen will, muss die Vorstellungskraft nähren. Denn wer Dinge verändern will, muss sich vorstellen können, was kommen könnte, was möglich wäre, wie es sein könnte danach.

Wie jedoch vermeidet man, belehrend zu wirken und behält gleichzeitig den Mut, zu belehren, da doch, wer verändern will, auch vermitteln muss?

Als Lösungen werden vorgeschlagen:

* Durch Rollenwechsel Offenheit erzeugen.

* Durchlässigkeit der Themen innerhalb des Theaters

* Üben ! Also: Den Theaterabend dazu nutzen, um das Publikum etwas machen zu lassen, das es sonst noch nicht gemacht hat. Das Publikum erleben lassen. Es an Orte führen, an denen es noch nicht war. Barrieren einreißen!

* Austausch auf digitaler Ebene – E-Theater – Teilhabe durch Soziale Medien etc. – ein Online-Theaterstück – Austausch zwischen Menschen und Kulturen bspw. durch Digitales möglich machen – Internationalität – Reichweite

„NICHT DEN MUT VERLIEREN“

RESSOURCE THEATER

Wo ist unsere Bühne?

Im öffentlichen Raum. Sie ist bewegbar. Sie hängt auf keinen Fall an einem Auto. Sie ist unterwegs, mobil. Das Theater wird zu den Leuten gebracht!

Was findet auf der Bühne statt?

Die Bühne als Speakers Corner – jeder kann hingehen, sagen was er will, Ideen präsentieren und finden. Die Bühne ist eine für die Öffentlichkeit. Gleichzeitig nicht unbedingt Bühne nur für Kleinkunst. Ein Volks*theater nur vom Theater Rampe?

Außerdem wird auf der Bühne gelacht. Über Humorvolles bis Zynisches. Es ist ein Theater der Rückmeldung. Die Leute werden befragt, was sie gesehen haben. Ob ihnen gefallen hat, was sie gesehen haben. Ob es etwas zu ergänzen gibt. Was auf der Bühne stattfindet, zeichnet sich durch Prozesshaftigkeit aus. Eine stetige Verhandlung des Stoffes.

Wer steht auf der Bühne?

Auf keinen Fall nur Laien. Auch richtig gute Profis, die mit Laien interagieren. Heterogenität ist wichtig. Nicht nur bezüglich der Profession, auch bzgl. des Alters, der Herkunft etc.

Wer finanziert das?

Finanzierung muss sektorenübergreifend stattfinden! Das Theater muss dafür bezahlt werden, dass es auf die Straße geht und anderen dabei hilft, sich zu verändern. Das Geld sollte jedoch nicht nur aus öffentlicher Hand kommen. Auch die Wissenschaft muss finanzieren, dass Gesellschaft und Kunst zusammenkommen!

Außerdem:

Kunst / Theater ermöglicht gesellschaftliche Freiräume.

„DIE KUNST MUSS RAUS ZU DEN LEUTEN!“

DEMOKRATIE

Unserem demokratischen System fehlt es an einem Antagonisten, einem Counterpart. Ohne Antagonismus kommt es auf der anderen Seite zu Wildwuchs.

Deshalb die These: Das Theater kann neue Regeln für die Weiterentwicklung der Demokratie liefern. (Es wird der Bezug zum Theater der Antike als Schule der Demokratie gezogen.)

Regeln fürs Volks*theater – und die Demokratie:

* Transparenz!

* Das Theater muss raus aus den Bühnen. Schon allein, da der Bühnenraum immer auch undemokratisch ist als von Menschen geschaffen, die damit auch die Regeln für den Raum festgelegt haben – wer macht die Türen auf, wer das Licht aus?

* Vermittlungsarbeit / Zugänglichkeit

* Kultivierung des Zwischenrufs! Mitsprache durch Zwischenruf und Einspruch.

* Publikumsbeteiligung!

* Themen werden in der Gruppe ausgewählt, Themenfindung als demokratischer Prozess: Durch Aushandeln und Abstimmung. Oder durch ein Moment der rotierenden Entscheidung (Damit nicht immer nur die mehrheitsfähigen Themen auf der Agenda stehen.)

* Das Volks*theater kostet Eintritt – jedoch im Sinne eines Solidarpakts: Jeder gibt, so viel er kann. Die, die mehr haben, geben mehr, die, die wenig haben, geben nichts.

„THEATER ALS (MOBILES) VEHIKEL DER VERÄNDERUNG DER DEMOKRATIE“

– Theater als Tool, um eine Nachricht unter den Menschen zu verbreiten.

FROM US TO YOU!

Am Ende des Abends ist klar:
Es gibt den Wunsch nach weiteren Treffen und weitergehenden Workshops.
Aber es gibt schon viele Thesen – nun folgt der Versuch, das Ausprobieren.
Und es steht fest: Alles passt irgendwie zusammen, die Gedanken ähneln sich, die Themen und Bedürfnisse sind gleich.

Es sprachen und diskutierten:

Robert – Schauspieler. Martina – Theaterleitung. Muna – Workshopleitung, wird das Erarbeitete zusammenfassen und, im besten Fall, in Form bringen. Tomislav. Nina – Regisseurin, beschäftigt sich mit Öffnungsprozessen im Theater, ist zu Gast aus Weimar. Alexander – Künstler in Stuttgart. Florentine – interessierte Begleitung. Moritz – Bühnen- und Kostümbildstudent und Ausstattung beim Volks*theater. Efti – zufällige Begegnung vom Marienplatz mit der Neugier, was aus dem Volk*theater entstehen wird. Doro – unbeteiligte Neugierige. Conny – Sozialarbeiterin & Fahrlehrerin, interessiert sich für die Frage, ob Veränderungsprozesse von Räumen auch durch sowas wie das Volks*theater erzeugt werden. Leon. Kristin – New English American Theatre.

 

Foto: Dominique Brewing

Pro Abend tragen 6-8 Gäste aus der Nachbarschaft ihre Ideen, Beispiele für oder Gedanken über ein neues Volks*theater vor: Tag 2, Donnerstag, 27.06.2019

1. Beitrag: Jago – Querflöte

Atem hilft, im Augenblick zu sein. Seine Lieder sind alle improvisiert. Er hat Flöte spielen nicht in der Schule gelernt. Geboren wurde er in Brasilien, für ihn zählen “feelings” mehr als Handwerk; sich selbst zu lieben und zu akzeptieren bringe der eigenen Kunst mehr als alles andere.

Song to go somewhere else,
a magical place,
like a forest for example

Insgesamt spielt Jago drei Lieder, sowohl auf seiner Querflöte als auch Blockflöte.

2. Beitrag: Kathrin Wegehaupt vom Kulturkabinett Cannstatt

KKT ist sozio-kulturelles Zentrum, bis zum Jahr 2011 hieß es noch „Kommunales Kontakttheater Stuttgart“. Gegründet wurde es 1972 mit einer spektakulären Aktion auf dem Schlossplatz, der versteigert werden sollte („Boden, Wohnen Mieten“). Auch die weiteren Aktionen, Vorstellungen und Aktivitäten waren sehr außergewöhnlich und riefen kontroverse Resonanz hervor. Zum Beispiel waren oft Publikum und Schauspielende nicht zu unterscheiden, heftige Diskussionen wurden geführt, der damalige OB Rommel spielte sogar oft mit während Vorstellungen, die im Rathaus stattfanden.

Die Arbeit des KKT ist zu 50 % politische und soziale Arbeit und zu 50 % die Lösung sozialer Probleme, es ist ein Beteiligungs- und Betroffenentheater. Unterschiedliche Auffassungen zu Problemen sollen szenisch/darstellend erarbeitet werden, alle Formen sind dabei erwünscht, Begegnungen sollen ermöglicht werden, die Mitwirkenden sind alle ehrenamtlich tätig. Die Idee dahinter ist, dass jeder Mensch Expert*in in seinen Problemen ist, daher kann auch jede*r Theater erarbeiten. Die Menschen auf und hinter der Bühne sollten Betroffene sein, die ihre Standpunkte vertreten. Politische Entscheidungsträger*innen wurden und werden dabei auch jeweils eingeladen, sowohl als Zuschauer*innnen als auch Akteur*innen. Die Bühnen sind dort, wo Probleme sind, also auch in einer JVA, einem Krankenhaus usw.

Projekte von früher sind immer noch aktuell, wie Kathrin feststellte, während der Recherche, z.B. die Themen Resozialisierung, Wohnungsnot, würdevolles Altern, Frauenrechte, Abtreibung, Krankenversorgung, Friedenspolitik etc. Daher ist sie auch sehr gespannt auf das Volks*theater.

Frage aus dem Publikum: Gab es damals unterschiedliche Meinungen oder war das Klientel eher homogen?

Antwort: Unterschiedlichste Gäste wurden extra eingeladen, um eine möglichst vielfältige Repräsentation zu garantieren und spannende Diskussionen zu fördern, was auch glückte.

Weitere Frage: Waren unterschiedliche Schichten anwesend?

Antwort leider nicht möglich.

3. Beitrag: Theater am Faden – Helga Brehm und Franziska Rettenbacher

Videogruß Helga Brehm: In Indien sind Puppen höherstehend als der Mensch, sie gleichen Göttern, die nur pfeifend dargestellt werden, da der Mensch nicht würdig ist, diese Figuren sprechend darzustellen. Helga bevorzugt Stangen-Puppen, die nur über eine Kopfneigung verfügen, was ein distanzierteres Erlebnis garantiert. Sie glaubt, dass das Publikum durch Abstraktheit mehr berührt wird, das Miterleben ist für sie das Wichtigste, trotz einer gewissen Distanz. Emotionale, persönliche Figuren bzw. Darstellungen seien auf den ersten Blick zwar zugänglicher, gleichzeitig aber schnell wieder vergessen und daher trivial.

Franziska Rettenbacher: Das Theater existiert seit 48 Jahren, für sie bedeutet Theater Familie. Ihre Mutter verfügt über eine große Sammlung, gelernt hatte sie in Tschechien; mit ihrem Puppentheater ist sie viel gereist und herumgekommen, z. B. auch bis Sibirien. Das erste Stück – Jorinde und Joringel – ist schon 50 Jahre alt.

Derzeit findet ein Festival statt, zu dem auch indische Puppenspieler angereist sind, die sie mitgebracht hatte. Die beiden indischen Gäste zeigen kurze Impressionen: 1. Puppe ist populäre Tänzerin. Einer der Männer trommelt und singt, der andere spielt die Puppen. Die 2. Puppe ist ein „magic show man, like Michael Jackson“: Sie tanzt und hebt immer wieder ihren Kopf vom Körper, auch am Boden kriechend, wirft sie den eigenen Kopf vor sich her oder balanciert den Kopf auf einem Fuß während des Handstands. Das Publikum wirkt sehr amüsiert. Am Schluss kommt Franziskas Partner (Name?) noch die Bühne, mit seiner Trommel, später trommelt er mit dem Inder noch ein Duett.

4. Beitrag: Philine

Die Probleme ihrer Freunde werden oft nicht auf Bühnen verhandelt, sie arbeitet derzeit frei mit Queers. Auch während ihrer Zeit am ADK hatte sie den Eindruck, dass immer alles diskutiert wird, nur nicht die Inhalte.

Ihrer Meinung nach sollte auf Bühnen verhandelt werden, wie wir leben wollen. Stichworte wie Vorbilder, Grundwerte, Respekt und Wertschätzung sollten Beachtung finden. Der gestresste Busfahrer, die Überstunden leistende Ärztin, die Putzfrau von nebenan sollten Protagonisten eines Volks*theaters sein, Umwelt und Natur sollen thematisiert werden.

In einer Zeit, in der Politiker*innen Morddrohungen erhalten, sollten Umgangsformen und der fehlende Respekt diskutiert werden. Fragen, wie sollte man mit Menschen umgehen, die so sehr hassen, sollten aufgegriffen werden. Der Einfluss der sozialen Medien ist enorm, Stichwort Filterblasen; die Verhältnisse sind schwierig, daher greifen Leute auf das Konzept des Sündenbockes zurück. Kategorisierungen (weiß vs. POC, hetero vs. LGBTQ usw.) lassen Menschen verschwinden, was sehr problematisch ist. Die Kunst ist zu sehr mit Ästhetik beschäftigt, Inhalte und Werte sind nachrangig. Feline möchte das Theater als Erziehungsort reaktivieren: Menschen sollen zusammengebracht werden, Empathie soll vermittelt werden. Es sollen moderne Heldengeschichten erzählt werden, die Hoffnung machen, Identifikationsangebote sollen offeriert werden, Nachgespräche geführt werden. Kurz gefasst: Es soll mehr miteinander statt übereinander gesprochen werden.

5. Beitrag: Alex Sowa – Bildender Künstler

Alex wünscht sich ein Theater der Überforderung. Was ist Volks*theater? Ist es für die Bevölkerung oder für Touristen? Innen nicht außen? Soll eine Aufnahme ins Volk erfolgen? Kunst ist älter als Politik – was ist mit den Volksparteien: herrscht Neid oder Bedauern? Kartenverkauf: ist Volks*theater ein volles Theater? Volk muss erst noch definiert werden.

Was ist Realität? Stabilisierung des Volkes? Kunst ist Kampf mit dem Papiertiger (Alexander Kluge). Kunst ist eine Auseinandersetzung mit dem Nicht-Identischen.

Einzig die Überforderung sei Kunst. Kunst verglichen mit Liebe ist ein Geben, kein Nehmen, nichts zu erwarten. Liebe ist Liebe des Nicht-Identischen, andernfalls ist es Narzissmus. Kunst muss herausfordern, überfordern. Nicht die Vereinigung, sondern die Differenz muss das Ziel sein. Kunst als etwas Gefälliges kann verglichen werden mit Nicht-Schwitzenwollen beim Sport.

 

6. Beitrag: Tatjana Milicevic und Jordan Djevic – „Die Perlen“

Jordan spielt Akkordeon und bedient Loop-Station, Tatjana singt und tanzt, Ausdruckstanz, sehr frei, gemischt mit  traditionellem serbischen Volkstanz.

 

7. Beitrag: Robert Atzlinger

Robert trägt folgende „Eindrücke“ vor, die er auf dem Weg zur Rampe erlebt hat.

Schöttleplatz. Zwei Frauen mit Kopftüchern. An einer Ecke ein Obdachloser. Plakat Kino. City-Management Job-Angebot. Gaststätte, aus der Lachen zu hören ist. Aufruf „Für Freiheitsrechte kämpfen“. Dicker Junge dribbelt Ball. Vor einer Kneipe sitzen Gäste diskutierend. Aus einem Wettbüro kommt ein Junge mit Sporttasche. Auf der Straße läuft ein Mann, der seinen Arm ganz steif in der Hosentasche hält. Ein Mann mit Rollator. Aufforderung: An Lotto teilnehmen. An einer türkischen Imbissbude halten sich Gäste auf, die sich unterhalten. Ein Typ starrt in den Imbiss. Der dribbelnde Junge trifft seine Freunde. Aufforderung eines Friseursalons: Eine Kosmetikbehandlung buchen. Kinder toben am Wasserspielplatz. Ein Vater mit Kind kauft Eis und kratzt sich am Sack. Ein Luftmessgerät an der Hauptstätter Strasse. Ein Typ mit Ghettoblaster läuft aus dem Fitness-Studio, Bier trinkend. Ich laufe die Treppe hoch, dort hängt ein Schild „Bitte ab 22 Uhr Rücksicht auf unsere Nachbar*innen nehmen“

Zweite Route

Ein E-Roller. Frau mit Tüten vollbepackt. Frau in reptilienfarbenem Kleid, an Haus klingelnd. Frau mit Blümchenbluse mit leerer Papiertüte. Vater mit Lastenrad. Aufforderung Brezel essen. Aufforderung Bonsaiausstellung besuchen.

….

Frau mit Krücken tastet sich an Bushaltestelle entlang, schleppt sich Treppe hoch. Schild „Bitte ab 22 Uhr Rücksicht auf unsere Nachbar*innen nehmen“

 

8. Beitrag: TOTLN – Bureau Baubotanik und Hertl

Hannes verliest Versprechen des TOTLN, Oliver und Hertl stehen mit Schildkrötenmasken an anderer Seite der Bühne. Auf der Leinwand wird eine Skizze des Areals projiziert.

Hannes: Das THEATRE OF THE LONG NOW ist das Versprechen eine mindestens 100 Jahre andauernde Aufführung stattfinden zu lassen. Im THEATRE OF THE LONG NOW gibt es unzählige Protagonisten, darunter der Boden, verschiedene Institutionen, Pflanzen, Metall und eine Schildkröte, sowie mindestens ein junger und ein alter Mensch. Wetter und Kostendruck, Solidarität und politische Entscheidungen sind ebenso entscheidend für den Verlauf seiner Aufführung. Ein Ende der Aufführung ist nicht absehbar.

Das TOTLN ist ein Theater der Vielen, nicht der Einen. Viele bilden ein Gefüge. Wir mögen Menschen, Maschinen, Pappeln, Holzbienen, Menschen, die mit Maschinen umgehen…

Währenddessen kleben die Schildkröten Oliver und Hertl ein gelbes Klebeband quer durch den Raum auf den Bühnenboden, in Zeitlupentempo: Einer rollt das Klebeband ab, der andere klebt es mit den Füßen fest, indem er immer ein winziges Stück weitergeht.

Hannes: Wir haben keine Schildkröte im Ensemble, aber Gefährt*innen. Brachen täuschen jeden…

Hannes und Hertl wechseln: Hannes zieht sich nun die Maske über und Hertl verliest weiter.

Hertl: Wir haben eine Vorstellung von Langsamkeit. Wir haben eine Vorstellung von Zeit, die wachsen kann. Länger, als wir leben. Wir haben eine Vorstellung, die unaufhaltbar, nicht nachwachsend, käuflich ist. Wir haben eine Vorstellung vom Ende. …Wir haben eine Vorstellung von Körpern, an Grenzen stoßend. Wir haben eine Vorstellung von rauhem Sand, kaltem Beton, zarten Blättern… Wir haben eine ungeheure, widernatürliche, lebendige Vorstellung.

Oliver und Hertl wechseln Maske und Text.

Oliver: Ein Theater mit hitzefrei, auf Wachstum beruhend. Wir haben keine Vorstellung von Zeit, Endlichkeit, Unendlichkeit….

Oliver verstummt. Die Schildkröten performen nun in der Stille weiter. Sie verkleben weiter im Schneckentempo das Klebeband am Boden, bis sie am Rand der Bühne ankommen.

9. Beitrag: Tomislav

hat zwei Wünsche: 1. Welt ohne Geld. 2. Mitmachtheater nach Art des Forum-Theaters von Augusto Boal.

Der Tausch sei zerstörerisch, Theater solle diese Vorgänge daher beleuchten, bis das Verstehen einsetze. Das Forumtheater von Boal verwischt die Grenzen von Publikum und Zuschauenden: die Zuhörer*innen werden gebeten, nach Darstellung des Konfliktes, die Schauspieler*innen zu ersetzen und ihre Lösungen somit einzubringen oder reinzurufen, wie es weitergehen sollte.

 

Nachgespräch:

Frage: Warum macht ihr Kunst?

Nina: Theater ist für sie Medium für Dialog, Konflikt und Austausch, im Normalfall treffen allerdings nur Gleichgesinnte aufeinander. Während der Recherchephase auf dem Marienplatz waren dagegen unterschiedliche Leute anzutreffen.

Rückfrage: Geht es um Weltverbesserung?

Nina: Nein, eher um die Sichtbarmachung von Phänomenen und Problemen.

Hannes: Was ist der Unterschied zu einem Straßenfest?

Nina: Ein höchst diverses Straßenfest wäre dasselbe wie Volks*theater. Es seien fließende Grenzen zum Aktivismus, sie sieht sich als Vermittlerin.

Feline: Differenz bzw. Vielfalt am heutigen Abend fand sie sehr bereichernd, alles hat seine Berechtigung. Das Volk ist nicht homogen, also kann auch ein Theater nicht nur eindimensional sein. In Nachgesprächen können Schwierigkeiten/Verständnisprobleme geklärt werden. Die Kategorien falsch bzw. richtig sind in diesem Kontext schwierig.

Hannes: Effekt der Echokammer (wie in sozialen Medien) könnte ein interessantes Mittel sein.

Wirkung von Theater ist nicht vorhersehbar und eindeutig bzw. indifferent, bei jedem Zuschauenden kann sie anders ausfallen.

Nina: Die eigene Arbeit sollte mehr befragt werden, die Aushandlung verbreitert und ausgeweitet werden. In einem Gespräch werden Ideen und Gedanken geschärft und weiterentwickelt.

Paula: Kunst muss keinen Zweck haben, darf nicht gefällig sein.

Dodo: Kunst sollte gesellschaftskritisch und utopisch sein.

Nina: Ihrer Meinung nach kann man sich nicht raushalten, oft ist Kunst irrelevant und zu frei geworden. Sie hat einen politischen Anspruch und sieht sich verpflichtet, sich einzumischen.

Franziska: Kunst muss zuallererst die Künstler*in zufriedenstellen.

Feline: Wie erreicht man Persönliches?

Ideen aus Plenum: Sprache/Fachsprache kann ausgrenzen, ebenso Formen. Humor könnte Mittel sein, sich gegen Herrschende zu verbinden, wie auch in früheren Zeiten.

Zielgruppenmonitoring muss betrieben werden.

Frage ist, ob man Theater für andere macht oder mit anderen? Es gibt unterschiedliche Ansprüche – muss Theater gesellschaftlich relevant sein?

Martina: Wünscht sich Überwindung des Kategorien- oder Genredenkens.

Frage: Ist der kathartische Moment von einer Rahmung unabhängig?

Es werden Zweifel geäußert, ob das Publikum entscheiden könnte, was relevant ist. Eine Setzung sei notwendig.

Paula: Theaterinstitutionen müssen vermitteln, dass etwas relevant ist, zum Beispiel durch strukturelle Anreize (POC-Mitarbeiter*innen „locken“ entsprechendes Publikum usw.)

Theater solle temporäre „Wirs“ ermöglichen

Frage: Ist Konsens eine notwendige Voraussetzung?

Leute befürchten oft, sie verstünden Stücke nicht, daher wirft jemand ein, dass Nicht-Verstehen als Qualität zu begreifen sei.

 

 

Pro Abend tragen 6-8 Gäste aus der Nachbarschaft ihre Ideen, Beispiele für oder Gedanken über ein neues Volks*theater vor: Musik, Performance, Text, Kritik. (Tag 1: Mittwoch, 26.06.2019)

  1. Beitrag: Teresa Gomez und Willy

Die beiden präsentierten eigene Songs (Singer-Songwriter). Titel: „Dust for freedom“; während seiner Zeit in Ecuador als Freiwilliger schrieb Willy z.B. den Song „The Heat“, den er der Hitze widmete; „Don´t be afraid“; zuletzt performten die beiden ein bluesiges Cover von Guns `n´ Roses` „Sweet Child o mine“.

  1. Beitrag: Martin Zentner– Thema Nachbarschaft, freie Rede

Nachbarn hat man, ob man will oder nicht, daher ist es besser, wenn man sie kennt. Während Festen kann man sich treffen, auf der Straße grüßt man sich. Was kann nun aber Theater machen, dass Nachbarschaft erlebt werden kann?

Seiner Freundin hat er eine Karte für EUROPEAN HOUSE OF GAMBLING auf dem Marienplatz geschenkt, das sie gemeinsam besuchten. Das Casino dieser Vorstellung gab als Einsatz kein Geld, sondern Schlüssel aus. Ein Nachbar, ein Flaschensammler kam vorbei und fragte, was los sei, daraufhin schenkten die beiden ihm zwei Schlüssel zum Spielen. Er setzte diese gleich ein und gewann 33 Schlüssel. Die drei tranken dann als Dank Schnaps miteinander und unterhielten sich noch einige Zeit. Viele Menschen kamen während des Stücks zusammen, lernten sich kennen und erlebten etwas gemeinsam. Martin sieht dies als gelungenes Beispiel, er wünscht sich solche Formate für die Zukunft.

  1. Foto: Dominique BrewingBeitrag: Mehdi Tavoli und seine persische Ma-Gruppe (Ma bedeutet persisch „wir“)

Performance von drei Leuten: Mehdi performte, Paria Tavakoli Dinani sang opernhaft im Hintergrund (kein Text) und Ehsan Hejri spielte das Saiten-Instrument Santur. Die Vorstellung bestand aus kurzen, atmosphärischen Szenen, die untermalt mit Gesang und Musik dargeboten wurden. [Wiedergegeben wird nicht gesamter Text, sondern zusammengefasste, beispielhafte Szenen, um einen Eindruck vom Stück zu vermitteln.]

Mehdi: Wie viel von mir ist in dir? Wie viel von dir ist in mir?

Ein Tunnel, am Ende ist ein rotes Licht.

Rote Mama, warum wachsen Haare auf meiner Zunge?

Der Zug ist losgefahren.

Frau: 1. Station Sommerland

Mehdi: Die Tür ist geöffnet, die Füße schauen raus. Zwischen meinen Zehen ist Sand.

Frau: Nächste Station lange Nacht.

Mehdi: Der Wind weht. Er tut weh, zieht an meinen Haaren. Auf meiner Zunge wachsen Haare, es tut weh. Ich möchte reden.

Frau: Nächste Station Zauberland.

Mehdi: Der Himmel ist blau. Hier blau. Hier blau. Überall. Das ist langweilig.

Frau: Nächste Station Deutschland.

Mehdi: Mir geht es schlecht. Mir geht es gut.

Papa, du warst auch mal grün. Geh weiter.

Frau: Nächste Station Armeeland.

Mehdi stellt einen Soldaten dar, der mit seinem Vorgesetzten interagiert.

Frau: Nächste Station Traumland.

Mehdi: Es regnet, der Himmel ist grau.

Ein Punkt im Himmel ist grün. Das rote Licht ist weit weg.

Es wird kalt. Es schneit. Der Wind weht. Er nimmt die Wolken weg.

Überall ist es blau.

Mama, ich will meinen Zug wieder.

Wo ist Papa?

Frau: Nächste Station Nirwana.

Mehdi: Triggercontrol.

Mit seinen Händen zeigt Mehdi Figurenspiel: Sein Vater und eine Person aus dem Jenseits sprechen miteinander. Der Vater sagt am Ende: „God bless neverland“.

Protagonist fällt um (Mehdi).

Frau singt.

Mehdi erhebt sich wieder.

Mehdi: Interaction. Wie viel von mir ist in dir? Wie viel von dir ist in mir?

 

  1. Beitrag: Interventionistische Linke

Drei Protagonist*innen verlesen ihr „Theater-Manifest“ (siehe Handout), das Fragen zu Kunst und der Freiheit von Kunst thematisiert.

Kurz vor Schluss wirft eine vierte Protagonistin diesen Text auf einem Stuhl inmitte des Publikums in den Raum, unter die Leute.

 

  1. Beitrag: Marcel und Anette – Abiturient*in

Die beiden performen diverse Szenen (Dialog). [Wiedergegeben werden einige Ausschnitte.]

Anette: Hast Du mich vergessen?

Marcel: Ich weiß nicht mehr.

A: Verweigere Dich, verantwortlich zu sein. Wo warst Du solange? Ich habe dich so lange gesucht und du sagst nichts.

M: Kennen wir uns? Ich glaub es nicht. Komm mal runter, du hast ja Stimmungsschwankungen.

A: Bedeute ich dir nichts mehr?

M: Ich habe den Bezug zur Realität verloren. Kenne niemanden mehr.

A: Bist du völlig durchgeknallt?

M: Dasselbe könnte ich dich fragen. Was machen wir hier eigentlich?

A: Du bist Thomas aus „Maze Ranner“.

M: Du bist Hazel Grace aus „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“.

 

A: Du hast den Zombie erlöst.

M: Ich habe meinen Freund getötet.

A: Lass Dich fallen. Jeder Mensch ist ein Künstler, sagt Joseph Beuys.

M fällt, schreit.

M: Es tut so weh. Ich hab Kopfschmerzen. Es scheint, ich werde ein Zombie.

A: Was soll ich tun?

M: Ich weiß es nicht mehr.

A: Wo bist du nur Augustus? Er braucht mich doch.

M weint, liegt am Boden.

M: Du bist das Beste, was mir passiert ist, Hazel Grace.

Er stirbt.

A: Manchmal muss man Menschen loslassen, wenn es für ihn das Beste ist.

 

  1. Beitrag: New English American Theater (Stuttgart) – Charles, Elma und Kissie

Das NEAT ist ein Community-Theater, das Stücke in englischer Sprache anbietet, aus dem Bedürfnis einiger Muttersprachler*innen, die dies in den Programmen vorhandener Theater vermissten. Gegründet wurde es vor 30 Jahren von 12 Theaterbegeisterten. Mittlerweile wirken 65 Schauspieler*innen und Musiker*innen aus 32 Ländern mit. Das Repertoire des NEAT umfasst Diverses, z.B. die Vagina Monologe („V-Day“), ein Format, das Gewalt gegen Frauen anprangert.

Charles, Elma und Kissie zeigen verschiedene Formate, zum einen Songs, zum anderen präsentiert Kissie ihr Gedicht „My skirt“.

Song von Bob Dylan „It Ain´t Me Babe“. (Charles – Gitarre/Gesang, Elma: Gesang/Tambourine).

Ausschnitt aus den „Vagina Monologes“ von Eve Ensler.

My skirt is no invitation.

My skirt has nothing to do with you.

My skirt is the liberation flag in womens army.

Everything under my skirt is mine. Mine! Mine!

Song – Charles und Elma

 

  1. Beitrag: Kurzes Stück zu Arbeitsbedingungen von Künstler*innen/Schauspieler*innen – Darstellerinnen: Dahab Borke und Magda Agudelo, Inszenierung: Carmen Stürmer.

Dunkelheit. Magda sitzt alleine auf der Bühne, Zeitung lesend, zweiter Stuhl ist leer. „Bitte warten“ schallt es mehrmals und zunehmend lauter und schriller aus den Lautsprechern. Die Bühne wird erleuchtet.

Dahab tritt dazu, setzt sich.

D: Ja, das bin ich. Ich bin gekündigt worden.

M: Tut mir leid. Schade. Ich bin auch Schauspielerin. Zwischen 35 und 50 Jahre wird es schwer, Rollen zu finden. Deswegen wurdest du gekündigt.

D: Lüge! Schweinerei! Infam! … Es ist so anstrengend. 6 Wochen Probe, spielen, 6 Wochen Probe… Neun Stücke habe ich gespielt. Die Ensemble-Sprecherin hab ich aufgesucht, über Mutterschutz, Überstunden, Pausenregelung und Mindestgage haben wir gesprochen. Ich musste zum Indentanden, der hat mich gekündigt.

M: Ich bin freie Schauspielerin. Performance, Tanz, Installation…

D: Machen wir auch. Wie kannst du leben?

M: Ich mache Lesungen, Ausstellungen. Wenn ich kein Sommerprojekt habe, arbeite ich als Kellnerin. Ich genieße die Freiheit, es ist aber auch kein Paradies. Ein Projekt stand an, aber es kam keine Rückmeldung mehr. Für mich ist es eine Ehre auf der Bühne zu sein, eine Leidenschaft.

D: Ja, für mich auch. In der letzten Spielzeit hab ich die Medea gespielt. Am Anfang war die Gage gering, da konnte ich mir nicht mal eine Wohnung leisten. Nach drei Jahren ja, aber Urlaub kann ich mir nicht leisten.

M: Ja, sparen, sparen. Kein Urlaub. Komm, wir üben jetzt.

D: Spielt Szene.

M: Mehr Gefühl.

D spielt leidenschaftlicher.

M: Reicht! Nächste!

M spielt, redet.

D: Nicht so viel Gerede!

M heult, spielt heftiger.

D: Größer!

Reicht! Nächster!

Beide spielen jetzt parallel, jede für sich. Die eine telefoniert, die andere hält Monolog. Beide steigern sich immer mehr rein, werden heftiger. Schließlich wenden sie sich einander zu.

 

 

 

 

Foto: Dominique Brewing

Zur Eröffnung des Volks*theaters am 25.6.2019 versammelten sich die Besucher*innen im Hinterhof, wo Rampe-Intendantin Martina Grohmann betonte, dass das Projekt noch am Anfang stehe, ein Labor sei. „Das Konzept des V*T verfolgt mich schon sehr lange: In Wien kennt man eine lange Tradition des Volkstheaters, die aber zur Unterhaltung verkommen ist. Einiges sagt der Begriff vielleicht gar nichts.“

Mit dem Volks*theater möchte das Theater Rampe die zeitgenössische Stadtgesellschaft anregen, das V*T für sich zu entdecken: „Dazu haben wir Nina Gühlstorff eingeladen, die in allen möglichen Sparten – von Oper bis zum klassischen Regie-Theater – unterwegs ist, und sich in diesem Projekt gemeinsam mit Paula Kohlmann um Verbindungslinien kümmert.“

Für Grohmann ist das V*T durch vier Begriffe geprägt:

1. Volk:
Dieser Begriff ist nicht nur ambivalent und provokant, in der Linie des Volkstheaters steht es gegen eine Top-down-Kultur. Durch das * wird Volk zu einem offenen Begriff, steht für ein inklusives Theater einer diversen Gesellschaft

2. Sprache:
… ist oft mundartbehaftet, es wird eine soziale gegen eine literarisierte Sprache gesetzt; es wird improvisiert, spontan kritisiert. Der Zwischenruf steht für eine andere Durchlässigkeit dieses Theaters (siehe 3.)

3. Öffentlicher Raum
Der öffentliche Raum ist mit dem Volkstheater verknüpft: angefangen von den freien, wandernden Gruppen über die Tatsache, dass das Publikum keinen definierten Ort betreten muss und es für alle zugänglich ist. „Es gibt auch öffentliche Räume außerhalb des Digitalen“, so Grohmann. „Wie durchbricht man diese Echokammern? Wie schafft man einen demokratischen Raum?“ Vielleicht mit einem Zwischenruf. Nina Gühlstorff ruft sogleich: „Ich mach‘ den ersten!“

4. Unterhaltung + Kritik
Das V*T könnte die Trennung von E und U aufheben, derben Witz und scharfe Kritik zugleich ermöglichen

Nina Gühlstorff ergänzte, dass all dies Themen waren, die ihnen in der Recherche begegnet waren und forderte die Anwesenden auf, „eine Allianz gegen die Hitze“ einzugehen (an diesem Abend hatte es weit über 30 Grad, Anm.d.Red.). „Ich glaube, was gewünscht wird, ist, dass wir uns auseinandersetzen – was jedoch nur wenige mitbekommen. Theater inszeniert elitär.“ Nun sollen Orte einen Sinn bekommen, die einen einfachen Zugang und Begegnung ermöglichen. Für die Regisseurin geht es im V*T um Teilhabe: „Das Theater könnte der Ort sein, wo das passiert.“

Sie verwies auch auf den „archäologischen Fund“ des Kontakttheaters, das im Stuttgart der 1970er-Jahre entstand und Teil der Ausstellung im Theatersaal der Rampe war und sich etwa mit ökologischen Themen oder Wohnen beschäftigte. „Die Themen waren also schon damals da und sind wieder zerbröselt“, so Gühlstorff, „ich würde gerne dazu beitragen, diese neu zu bündeln.“

Sie gab zudem einen kurzen Ausblick in den Juni  2020, wo es eine Aufführung des V*T geben werde. Anfangs, zu Beginn der Recherche, hätte sie noch konkrete Ideen gehabt, doch mittlerweile sei sie zur Auffassung gelangt, dass sie nicht kuratiere. Stattdessen seien Fragen aufgetaucht: Wieviele Grenzen möchte man haben? Wer übernimmt Verantwortung? Die Bitte an die Besucher*innen: mit Offenheit befragen, zwischenrufen, uns kritisieren und beschimpfen!

Paula Kohlmann ergänzte, dass das Kontakttheater der 70er nicht verschwunden, sondern zum Kulturkabinett  geworden sei. Sie habe aus der Recherchephase und den Gesprächen mit den Menschen vieles mitnehmen können. „Im V*T wollen wir den Versuch machen, sie Teil des Theaters sein zu lassen, ihre Themen und Ästhetiken zu zeigen. Und vielleicht schließen wir ja das Rampe und ziehen auf den Marienplatz?“ Auf all ihre Fragen geben die Gäste in den kommenden Tagen künstlerische und musikalische Antworten.

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Im Saal war bereits die „Matriarchale Volksküche“ dabei, Gazpacho und Piroge vorzubereiten. Nina Gühlstorff sprach mit Sabrina Schray, was Kochen denn mit Kunst zu tun habe: „Gar nicht so viel“, sagte Schray, „natürlich kann man das Kochen auf die Spitze treiben, dann sieht es so aus und schmeckt individuell. Die beiden passen gut zusammen, bilden ein gutes Paar. Gemein ist ihnen der zufriedene Blick – bei gutem Essen wie bei der Betrachtung von Kunst.“

Surja Ahmed erklärt kurz wie es zur Idee der Matriarchalen Volksküche kam: „Wir kochen gerne zusammen und dabei kamen stets gute Gespräche zustande. Das wollten wir in die Öffentlichkeit tragen.“ Marcela Majchrzak sprach die Einladung aus, sich an der Herstellug der Piroge zu beteiligen, räumte jedoch gleich ein: “Es sind 10.000 Stunden Übung nötig, um das Piroge-Falten zur Meisterschaft zu führen.“

Währenddessen kamen verschiedene kleinere Gespräche zustande, eine Besucherin berichtete etwa von einer Gruppe junger Student*innen, die immer ins Theater gingen, um Kritiken zu schreiben und sich so ein Zubrot zuverdienen. Kommentar eines Besuchers: „Wenn der regionale Kulturjournalismus weiter zusammenbricht, wäre das doch die Lösung!“

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Den ersten Input des Abends sprachen Hanna Noller und Sebastian Klawiter vom Verein Stadtlücken über den öffentlichen Raum. Die beiden sind Schreiner, Architekten und mittlerweile am Institut für Städtebau der Uni Stuttgart tätig. Zunächst zeigten sie im Schnelldurchlauf ein 24-Stunden-Echtzeitexperiment, das im Rahmen des Reallabor Spacesharing an der Kunstakademie am Weißenhof durchgeführt wurde und der Frage nachging: Wie wird Raum genutzt? Zu beobachten war, wie sich der Raum veränderte, indem dort gegessen, geschlafen, gearbeitet wurde oder ein Empfang für 200 Leute zu Eröffnung des Reallabors stattfand (mehr: http://www.abk-stuttgart.de/fileadmin/redaktion/events/2018/07/2018-07-17_Space_Sharing-Report_digital.pdf).

In ihrer Masterarbeit (https://issuu.com/spacesharing/docs/150824_masterthesis_einleitung) setzten sich die beiden theoretisch mit folgenden Fragen auseinander: Was heißt teilen? Teilt man es wie ein Stück Kuchen auf oder nutzt man etwas gemeinsam? Um den Wissensaustausch zu fördern gingen sie verschiedenen Fragen in Low-Budget-Magazinen nach, die sich beschäftigten mit:

  • Was ist Raum?
  • Sharing Economy
  • Space/Raum
  • Commons
  • Space Sharing

Der Begriff „to share“ sei dabei zentral, und – so Klawiter – eben nicht einfach mit dem Deutschen „(auf)teilen“ zu übersetzen, sondern beinhalte das Gemeinsame: gemeinsam nutzen, gemeinsam teilen. So landeten sie schnell beim (landwirtschaftlichen) Begriff der „Allmende“,  die eine Form gemeinschaftlichen Eigentums bezeichnet. Aber, wie Noller griffig erklärte: „Wie in einer WG-Küche kümmert sich keiner drum, wenn’s allen gehört.“

Lösen ließe sich das mit einem Ansatz der US-amerikanischen Professorin Elinor Ostrom, der 2009 als erster und bisher einziger Frau der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften zuerkannt wurde, gemeinsam mit Oliver E. Williamson. Ihr Thema sind die Gärten der Gemeingüter (Allmenden), in denen Menschen sich um knappe Ressourcen wie Wasser, Wiesen und Wälder und deren gemeinsame Nutzung streiten. Dabei scheitern sie jedoch nicht immer. (www.bpb.de/apuz/33204/elinor-ostrom-und-die-wiederentdeckung-der-allmende?p=all)

Ihre Zielfrage war: „Wie kann sich eine Gruppe von einander unabhängiger Akteure zur Erzielung langfristiger, gemeinsamer Vorteile selbst organisieren und verwalten, wenn alle versucht sind, Trittbrett zu fahren, sich zu drücken oder sonst wie opportunistisch zu handeln?“

Über die Spieltheorie bewies sie, dass Menschen Regeln brauchen, denn es gibt ihn sehr wohl, den vernünftigen Gemeinsinn in Gruppen. Sie hat gezeigt, wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann (siehe ihr Buch: Die Verfassung der Allmende) Diese Haltung haben die Klawiter & Noller für ihre Masterarbeit genutzt und daraus die Frage abgeleitet: WEM GEHÖRT DIE STADT?

Auf der Suche nach Lücken (in der Stadt) entwickelten sie ein Konzept, das Lücken findet, sammelt, vernetzt, Aufmerksamkeit schafft, diese kommuniziert. Während sie diese Strategie entwickelten, begannen sie mit ersten offenen Treffen in der Rampe unter dem Titel EINMAL IM MONAT. „Die Rampe ist für uns bereits V*T. Wir haben es schon vor drei Jahren so nutzen können“, betonte Noller.

Daraus entstanden die Stadtlücken und die Idee, den Österreichischen Platz zu bespielen. „Wir haben diesen Raum gefunden, einen öffentlichen Raum, der aus unserer Sicht Potenzial hat, aber falsch genutzt wird.“ Denn bis 2017 war diese Fläche unter der Paulinenbrücke – „eine Fläche, die allen gehört“ – von einer privaten Firma genutzt, die damit viel Geld verdient hat.

Auf die Frage WO IST DER ÖP? folgten die Fragen, wer alles mitmacht, wie sie das organisieren. Zur Organisation bedienten sie sich den „8 Prinzipien einer erfolgreichen Organisation von Gemeingütern nach Ostrom“ entlang der drei zentralen Linien von Macht, Markt und Moral („Das ist die Kirchenvariante: über schlechtes Gewissen.“).

Ostrom unterscheidet „sieben bzw. acht Prinzipien“ einer funktionierenden Allmende:
1. „Klar definierte Grenzen“ (der Bezugsgruppe)
2. „Kongruenz zwischen Aneignungs- und Bereitstellungsregeln und lokalen Bedingungen“, d.h. Umfang von Nutzung und Aufwand der Ressourcenverwaltung sind auf lokale Begebenheiten abgestimmt.
3. „Arrangements für kollektive Entscheidungen“: Personen, die von den Allmend-Verwaltungsregeln betroffen sind, können über diese Regeln auch mitbestimmen. (Anmerkung: Jüngere Forschungen haben allerdings ergeben, dass die Ergebnisse nicht unbedingt schlechter sind, wenn die Leute nicht mitbestimmen. Sie können aus anderen Gründen mit den gesetzten Regeln einverstanden sein, z.B. weil sie ihrem gewählten Vertreter vertrauen)
4. Kontrolle und Rechenschaftspflicht gegenüber den Allmendeberechtigten
5. Abgestufte Sanktionen (Bsp.: Am ÖP gibt es mittlerweile eine „Lärm-Ampel“, die nach einem warnenden Blinken automatisch den Strom abschaltet, sobald es zu laut ist)
6. schnelle, direkte, lokale Konfliktlösung
(Bsp.: Die Stadtlücken suchen das direkte Gespräch mit einem Italienischen Restaurant nebenan, wenn es Beschwerden gibt.)
7. minimale Anerkennung der jeweiligen Organisationsform und Rechtsverhältnisse durch Unabhängigkeit von äußeren (staatlichen) Machtstrukturen
8. „Eingebettete Unternehmen“: Die Verwaltungsstrukturen großer funktionierende Allmenden sind in kleineren Organisationseinheiten mehrerer Ebenen eingebettet. (Bsp.: Befinden sich mehrere Theater in der Nähe, wie organisisert man sich untereinander?)

Seit 1,5 Jahren nutzen die Stadtlücken den ÖP als Probierfeld, um herauszufinden, was da funktionieren könnte – und alle können mitsprechen. Die meisten halten sich auch an die (teils ungeschriebenen) Regeln. Kommt es zu Zwischenrufen, „Störungen“, dann sei das vielmehr interessant, betonen die beiden. Als Beispiel nannten sie eine Architekturpräsentation, bei der zwei Zuschauer*innen immer wieder Zwischenfragen stellten – „weil sie die ‚Regeln‘ einer solchen Präsentation einfach nicht kannten.“

Zusammenfassend lässt sich das alles auf folgende Formel verdichten:

COMMONS = Ressource + Community + Regeln

Zur Zukunft der Allmende sagte Noller: „Die Frage ist nicht, ob Menschen kooperieren wollen, sondern wie ihnen geholfen werden kann, das zu tun.“ Dies sei heutzutage nicht so einfach: „Statt kooperieren lernen wir, den eigenen Nutzen zu maximieren.“ Somit sei die Frage im Hinblick auf ein VOLKS*THEATER, wie das Theater Kooperation fördern kann.

Es folgte ein weiterer Impuls von Samira Messner über Diversität und Öffnung von Institutionen. Die Fotografin und Gender-Expertin ist Mutter zweier Töchter, stammt aus Addis Abbeba/Äthiopien und wurde durch den V*T-Bauwagen am Marienplatz auf das Projekt aufmerksam.

„Within five minutes I expressed my deep concern on issues like diversity. I am standing here not as a representative of a group, but as an individual expressing my opinion. I belong to a box: I’m black, I’m a woman, I’m wearing a head cover, I don’t speak German.”

Sie sei nach dem Studium nach Deutschland gekommen. Nach allem, was sie über den Westen wusste, erwartete sie überall Kinderspielecken, Familienfreundlichkeit etc. „I thought Germany was a feminist country and I expected it to be supportive open…this was my box of Germany.“ Die sich dann doch als Schublade entpuppte, als sie hier ankam und etwa mit Gender-Stereotypen konfrontiert wurde.

„Today I want to talk about the difference between diverse and inclusive: Diversity is natural, given such as sex or the colour of your skin. We are it. Inclusion means more: Today I’m included as a speaker representing POC, mothers. What we have to acknowledge is the lack of inclusion – only then we can move to the second level.”

Gerade in Stuttgart mit seinem Ausländer*innenanteil von ca. 45 Prozent stelle sich doch die Frage, wie hoch der Anteil im Jahr 2040 sein werde. „I want to see compassion! Not because they are others, but I want my kids to see strong African women.“ Für ihre Töchter wünscht sie sich: “They should see a reflection of somebody they know.” Eine starke, unabhängige, schwarze Frau. Denn meist werde Afrika durch “die arme afrikanische Frau” repräsentiert. Messner konfrontiert ihre Zuhörer*innen (und das Theater) mit dem eigenen Bild von Akfrika/afrikanischen Frauen: „Are they seen as professionals? Are they given space or power? Are they writing? And are they not playing a role given by someone else?”

She further addressed the issue of otherness: “My neighbour cooks other food because she is from another culture. We can choose to call it ‘exotic, different’ – or we can choose to include it. I want to make a difference!”

Sie verwies auch auf ein Beispiel aus der Theaterwelt: Am Deutschen Theater inszenierte Michael Thalheimer DIE UNSCHULD von Dea Loher, das 2012 eine Blackfacing-Debatte auslöste. Darin spült es zwei Protagonisten, Geflüchtete, – dargestellt von weißen Männern – ans Ufer der westlichen Welt. Die beiden Schauspieler schminken sich schwarz, dicke rote Lippen krönen dieses Zerr-Bild. Eine antirassistische Aktion, »Bühnenwatch«, protestierte lautstark gegen die schwarze Gesichtsbemalung als Blackfacing.

Messner betonte: „Theatre can be imaginary, artistic. But how is it possible, that we don’t find POC to play these roles?” Und sie führt den Gedanken weiter: “Why don’t we ask writers for their stories?“ In her artictic life she wants to build bridges without dismantling the privileges of others but by sharing power. “We need to give artists from other backgrounds the possibility to include their ideas!”

Im Anschluss gab es diverse Nachfragen bzw. Wortmeldungen wie diese: „I like your point, that we are already diverse, but need to talk about inclusion.“ Leite sich daraus ab, noch deutlicher kommunizieren zu müssen, dass alle eingeladen sind? „Ihr seid alle eingeladen, und übrigens: Wir sind barrierefrei.“ Doch wo fängt man an, das explizit zu kommunizieren?

Nina Gühlstorff brachte da ein schönes Beispiel aus der Recherche-Phase: Das „Theater am Faden“ richtete ein Festival aus, in der Einladung dazu hieß es: „Dieses Festival kann man besuchen, ohne Tschechisch, Russisch oder Hindi zu sprechen.“