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In Residenz

Nach einem langen Recherchesommer durch niedersächsische Fleischgefilde entstand im Rahmen der FREISCHWIMMEN-Residenz am Theater Rampe die konkrete Vision und Dramaturgie für unsere interaktive Fest-Aufführung FLEISCH. Aus unzähligen Stunden Audiomaterial von Gesprächen mit Schweinebauern, Fleischarbeiter*innen, Zukunftsforschenden oder Grillmeistern sammelten wir unsere Perlen und zentralen Fragestellungen zusammen um sie auf der Probebühne auszubreiten und aus ihnen schlau zu werden. 

“Fleischfragen sind Beziehungsfragen!” / War Prometheus eigentlich der erste Grillmeister, als er den Menschen das Feuer brachte? / Klee ist das neue Beef des starken Mannes! / “Es ist das Schicksal des Menschen, das er von getöteten Seelen lebt.” 

Bei einem Teamausflug ins Fleischermuseum in Böblingen spielten wir leider kein Wurstaufschnitt-Memory, sprachen dafür aber viel mit Museumsleiter Christian Baudisch, zum Beispiel über den Humor, den es braucht, um verschiedene Meinungen zu einem polarisierenden Thema wie FLEISCH zu versammeln; im weltgrößten Schweinemuseum wühlten wir uns durch mehrere Etagen Schweinewelten, um danach Käsespätzle im ehemaligen Schlachthof zu essen, an einem sinnlichen Grill-Nachmittag versuchten wir uns selbst im Wursten, kochten vegane Blutsuppe, übten einen Schlacht-Fest-Kanon und entwickelten Strategien für den Umgang mit den Interview-Audios. Zwei intensive und produktive FLEISCH-Wochen sind zu Ende, danke an das Theater Rampe und bis bald! 

Das Fleischermuseum in Böblingen

Ende Juni zogen die apokalyptischen tänzerin*nen auf unserer Probebühne ein, um an ihrem neuen Stück zu arbeiten, das Ende Juli  am Theaterhaus Premiere feiert und im Dezember 2021 an der Rampe zu sehen sein wird. Ein kurzer Arbeitsbericht der Gruppe:

Am Anfang war ein Eis – ein Arbeitstreffen in der Eisdiele Claus, oder war es doch die Eisdiele Bernd? Dort wo alle Eissorten grau sind und die Sorten stets über den Geschmack erraten werden müssen? Ein gefährlicher Ort für Unverträglichkeiten und Allergien. Eis voller Nervenkitzel. Eis und Nervenkitzel sind auch in WUNDERLAND keine Unbekannten – die Weiße Königin, Weiße ist ihr Vor- und Königin ihr Nachname, isst stets Zitroneneis, wenn sie gestresst ist, zur Beruhigung der Nerven…

Auf der Probebühne proben wir für WUNDERLAND, und wundern uns auch immer mal wieder – Sophia, die Regieassistenz, findet Wunderland inzwischen ziemlich normal, jetzt verursachen nur noch singende Eltern größere Verwunderungen. Rennauto-fahrende Pflanzenmenschen und Burger-verschlingende Topfpflanzen sind Alltag geworden. Am 8. Juli kam der Autor auf die Probe – wir waren alle sehr nervös und die Rampe-Intendantin Martina Grohmann hat uns große Angst gemacht, dass ein Autor*innenbesuch auf der Probe sehr unangenehm sein kann. Wir hatten Glück, bisher konnten wir Mugetha Gachago von unseren Ideen überzeugen. Wir hoffen, das bleibt auch in Zukunft so. Langsam fließt der Text auch in unseren Alltag ein. In der Mittagspause sprechen wir Phrasen aus dem Stück. Unsere Plakate sind angekommen. Grün. Grellgrün. Hoffentlich hängen sie bald überall in der Stadt.

Am 9. Juli kommt der Intendantin*nen-Besuch mit Martina Grohmann. Auch das macht etwas nervös. Außerdem kommt noch Peter von der Nikolauspflege. Peter hilft uns dabei die Inszenierung auf Zugänglichkeit für blinde- und sehbehinderte Menschen zu überprüfen.

Das Wetter ist Grau und verregnet. Die Gewitter sind spannender als Fußball. Und wir ziehen leider schon wieder aus der Rampe aus und in die städtischen Probebühne ein…

Am Freitag, 30. Juli 2021, 19 Uhr, feiert unsere aktuelle Produktion WUNDERLAND (UA) Premiere am Theaterhaus Stuttgart.

“Ach… da habe ich eine saure Gurke vergessen. [Schmatzgeräusche]”

Bei WUNDERLAND begeben sich die apokalyptischen tänzerin*nen gemeinsam mit der feministischen Influencerin Alice auf einen musikalischen, performativen Roadtrip, nach dem gleichnamigen Stück von Mugetha Gachago.

Mit WUNDERLAND geht die Zusammenarbeit des Kollektivs mit Mugetha Gachago nach forever apocalyptic und following mo in die dritte Runde. Der Autor schreibt Wunderland für Performance und Chor.

Weitere Vorstellungen am Theaterhaus:

31. Juli, 19 Uhr  und 1. August, 11 Uhr

Vorstellungen am Theater Rampe:

3. Dezember, 20 Uhr

4. Dezember, 16 Uhr

5. Dezember, 11 Uhr

www.apocalypse.dance

Im November feierte STRESS – EIN SINNLICHES SPEKTAKEL noch im Theatersaal Premiere. Pandemiebedingt hat sich das fluide Kollektiv entschieden, die Bühnen-Performance in eine Video-Fail-Compilation zu verwandeln, die ab Dienstag fünf Tage lang zu sehen sein wird. Einen Vorgeschmack gibt dieser Arbeitsbericht:

„STRESS – Der Bildschirmschoner“ hat schon als Format schizophrene Tendenzen. In seiner Schonungslogik ist es einmal Löschwasser für die an Online-Events wundgeschauten Netzhäute, – denn Inhalt sucht man hier vergeblich – andererseits auch Quälerei für die empathischen Seelchen, die die Home-Office-Hölle von behind-the-screen kennen. STRESS ist Stress: Vorhölle mit endlosen Zoom-Meetings bei schlechtem W-Lan, Selbstdarstellungsdruck, neurotischen Kompensationshandlungen, Isolationswahn und dem finalen Hohl-Drehen des gesamten Geschäfts-/Lebens-/Gesellschafts-/Welt-Models.

Irgendwo hatten wir Ende 2019 in den ersten Gedanken zu STRESS einmal notiert, dass die Performance dem Blick in eine Petrischale gleichen soll, wo Bakterien zirkulieren und die Transparenz des gelierten Trägermediums langsam zukeimt. Damals war Covid noch Science-Fiction und Home-Office noch eine großzügige Geste. Die metaphorische Petrischale, durch die nicht nur Bakterien, sondern auch deren Lebensmilieus – sieben Performer*innen – zirkulierten, war in der live gespielte Bühnenversion das abstrahierte Setting eines funktionalen Micro-Appartements.

Dieses von uns obsessiv adaptierte Wohnmodell der Zukunft für Young-Professionals vereint leben, arbeiten, stoffwechseln, Yoga machen, connecten, Druck ausgleichen und kreativ sein auf nur 26 Quadratmetern. Was irgendwann Mal unter dem Titel „Privatsphäre“ als Refugium vom Business galt, wird zum Dampfkessel, in dem die Work-Live-Performance den Druck erhöht bis sich auch die stabilsten Verbindungen verbiegen.

Taubheit, Ticks und Aggressionen sind die Früchte dieser sich täglich wiederholenden Mikrodramen, die meist hinter ausgeschalteten Bildschirmkameras stattfinden, während im Vordergrund an der Stabilisierung einer Ordnung, global oder persönlich, gearbeitet wird. STRESS ist einfach die Umkehrung dieses Blicks: es lassen sich nur noch windige Ursachen, Ziele und Motivationen für die emotionalen Landschaften der performten Psychosomatik finden; es bleiben alle allein und eine größere Apparatur, die das Zerfleddern legitimieren oder fordern würde, stets unsichtbar.

STRESS ist deshalb mehr Atmosphäre oder eine Collage freigestellter Affekte als Inhalt; ein Bildschirmschoner eben wie die ikonische Microsoft-Wiese unter dem perfekt bewolkten Himmel, nur mit Menschen und schon ist es messy.

Die Übersetzung in Film fügt dem das hinzu, was im Petrischalenkontext das Mikroskop leistet, sie zoomt ran und aus dem Zirkulieren der Performer*innen durch den Bühnenraum ist Mitte 2021, – sicher auch gefüttert durch die pandemische Erfahrung – ein Reigen der gestressten Oberflächen und zerstäubenden Persönlichkeiten geworden.„STRESS – Der Bildschirmschoner“ rückt dem Schweiß, den Tränen und den Zuckungen der Young-and-Old-Professionals im Selbstoptimierungsparcour noch näher, löst die übriggebliebenen erfassbaren Zusammenhänge zwischen Hintergrund und Vordergrund und fordert auf zu einem letzten Tanz.

Fun Fact: In der performativen Durchführung war STRESS überraschend unstressig, Stress performen kennen und können offensichtlich alle. Wenn es darum geht, abzuliefern, dass man so richtig gestresst ist, ist das vielleicht fast wie Therapie. Keine*r der Performer*innen ist ausgebildete*r Schauspier*in, aber selten haben wir uns so professionell gefühlt wie beim Konzipieren und Perfektionieren der individuellen Stresszustände von Heulkrampf bis zur Weltflucht.

STRESS – DER BILDSCHIRMSCHONER ist ab Dienstag, 22. Juni, um 20:00 on demand zu sehen. Tickets und mehr gibt es hier.

Im Mai 2021 waren Julia und Till von MOBILE ALBANIA am Theater Rampe zu Gast. Ihr Residenzbericht besteht aus einem kurzen Text, einem Video ihrer Sperrmüllfahrt durch 70180 Stuttgart sowie einem Audiozusammenschnitt ihrer Verfassungen über den „Rampenhof bzw. den Zackenmuldenhof“. Seht selbst:

Wir fahren, wir schauen, wir sehen, wir entdecken, wir bleiben stehen, wir drehen uns um, wir begrüßen die Nachbarschaft, wir fragen, wir lassen uns erzählen, wir diskutieren, wir atmen tief aus, wir lachen, wir schauen uns um. Was ist hier? Was liegt hier? Was will damit gemacht werden? Wir analysieren die Haufen, die Umgebung, das Theater, den Rampenhof, verfassen uns und archivieren…

Die Arbeit vor Ort in Stuttgart war u.a. eine Recherche für die weiterführende Arbeit „Die Müllanfuhr /die Rumpelkammer Berlins“ (AT), welche im September in Karlshorst & Lichtenberg in Berlin stattfindet – in Kooperation mit der Stiftung Stadtkultur/KAHO-Raum für Kultur.

https://vimeo.com/manage/videos/573044390

Hier sind vertonte „Verfassungen“ zu finden. Dies sind Raumbeschreibungen und Ortserfahrungen, die von MOBILE ALBANIA im Rahmen der Residenz geschrieben wurden.

Für das Festival 6 TAGE FREI 2021 war eine sechsköpfige Gruppe für die vierwöchige Arbeitsresidenz am Theater Rampe ausgewählt worden – ermöglicht durch das Festival und TANZPAKT Stuttgart. Laura Albrecht, Astrid Bischofberger, Lydia Eller, Miriam Lemdjadi, Rica Lata Matthes und Angela Siebold arbeiteten an der Rampe an ihrer Performance UNSICHT BAR, die Lebensrealitäten zwischen Mutterschaft und künstlerischer Tätigkeit sichtbar machen und neue Strategien entwickeln will.

Zwei Tänzerinnen, eine Theaterschaffende, eine Sängerin, eine Historikerin und eine Filmemacherin öffnen den Raum für das Unsichtbare und arbeitet mit Parallelwelten und Projektionen. Hier berichten sie, wie sie die Zusammenarbeit in der Residenz erlebt haben:

„Aus großer Verzweiflung heraus als freischaffende Künstlerin und Mutter während des ersten Lockdowns mit zwei Kindern zu Hause, keinerlei Zeit und Energie mehr zu haben, der beruflichen Tätigkeit nachzukommen, abgeschnitten von der Außenwelt, wurde die Idee der UnsichtBar geboren.

Diesen Zustand der Unfreiheit, der Bewältigung alltäglicher Routinen, Bedürfnisse stillen zu müssen und eigene zu unterdrücken und gleichzeitig die berufliche Existenz und künstlerische Schaffenskraft nicht zu verlieren, einmal sichtbar zu machen, mit anderen Künstlerinnen und Müttern zu teilen und neue Strategien zu entwickeln, Gestaltungsmöglichkeiten auszuprobieren und die Arbeit neu erfinden, war und ist ein großer Antrieb dieses Projektes. Die Idee zündete bei allen Beteiligten sofort und entfachte ein Feuerwerk an Ideen. Wertschätzung und Solidarität prägten von Anfang an den Prozess.

Dieser begann natürlich über Zoom, in ganz Baden-Württemberg verteilt saßen wir vor unseren Bildschirmen und bald kannten wir Kinder und Partner, fieberten mit bei Schwangerschaft und Geburt, bedauerten ausfallende Projekte und Vorstellungen und bereiteten die Residenz vor. Stillen, nicht erscheinen, später kommen oder sich früher verabschieden, all das war von Anfang an nicht nur geduldet, sondern gefordert; Arbeiten, so wie es für uns geht, das was möglich ist, ohne Druck und schlechtes Gewissen, die Grenzen akzeptieren, war unser Mantra, an welches wir uns gegenseitig erinnern mussten, zu tief saß die Gewohnheit, das Unmögliche möglich machen zu wollen.

Diese Atmosphäre führte dazu, dass alle das Projekt mit Enthusiasmus und Leidenschaft trugen, füreinander sorgten und das Ganze zusammen hielten, jede übernahm Verantwortung und die Kreativität und der Einfallsreichtum waren nicht zu bremsen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit verstärkte dies, da eine solche Neugierde und gegenseitige Inspiration vorherrschte und dass ohne dass sich alle vorher kannten oder je gesehen hatten.“

„Zu Beginn der Projektplanung konnte ich aufgrund meiner ‚frischen‘ Mutterschaft und aufgrund eines anderen Projektes, das zeitgleich stattfand, noch nicht einschätzen, inwieweit ich während der Residenz dabei sein kann. Während der Zoomtreffen merkte ich aber mehr und mehr, wie wichtig mir das Projekt wurde und wie ich von Mal zu Mal mehr dazulernte, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Als Künstlerin im Austausch mit den anderen Künstlerinnen zum Teil aus anderen Disziplinen. Als Frau, die auf der Suche ist nach einer für sie passenden Art und Weise ihr Frausein zu leben. Und als werdende Mutter, die sich die Herausforderungen des Zusammentreffens von Familie und Arbeit als Künstlerin zwar vorstellen kann und doch einfach noch nicht am eigenen Leibe kennengelernt hat. Nach manchen Treffen war ich bestärkt, weil diese anderen Künstler*innen/Mütter/Frauen mir gezeigt haben, dass es möglich ist, weil sie so mutig voranschreiten und ermutigend und empowernd mir gegenüber sind. Nach manchen Treffen war ich aber auch ängstlich bezüglich dessen, was alles noch auf mich zukommen würde. Als ich dann bei der Residenz mit meinem 3 Monate alten Sohn in Stuttgart war, da spürte ich die innere Zerrissenheit, obwohl jede Akzeptanz von allen Seiten da war. Der Wunsch sowohl für meinen Sohn als auch für meine Leidenschaft als Künstlerin da zu sein, stellte mich vor viele Herausforderungen. So dankbar war ich, als die anderen Künstlerinnen mir meinen Sohn abnahmen, mit ihm interagierten und lachten, sodass ich besser mitarbeiten konnte. So dankbar war ich, dass mir keine einen Vorwurf machte, weil ich mit dem Kopf nie zu 100% dabei war. Niemand beschwerte sich, dass ich nur so ‚wenig‘ Zeit während der Residenz hatte. Ich durfte und darf trotzdem dabei sein. Und vor allem will ich dadurch um so dringender dabei sein. 

Die anderen Künstler*innen stärken mir den Rücken, wenn ich dafür einstehen muss, dass ich Mutter und Künstlerin sein will. Ich habe in den Gesprächen so viel über die strukturellen Nachteile für (arbeitende) Mütter gelernt und werde weiter kämpfen um die Bedingungen für uns Mütter zu verbessern.“

„Montag: das Telefon klingelt – Miriam fragt nach einem Spontaneinsatz am Wochenende – Videografin mit Burnout, Ersatz gesucht. Ich schaue in den Kalender: voll. Samstag wäre aber machbar. Dafür fällt der Onlinespielenachmittag mit den Neffen/Nichten aus oder muss kürzer treten. Die anderen Künstlerinnen sind super nett und ich fühle mich sofort wohl – ich als einzige (Noch-)Nichtmutter. Die Performance hinterlässt Eindruck. Bringt mich trotz aller Spontanität zum langfristigen Nachdenken. Nachdenken über meine eigene Familienplanung. Muttersein und Kunst und Theater… wie geht das zusammen?“

„…Hier handelt es sich wohl um das erste Projekt, welches meine Kinder in positiver wohlgesinnter Erinnerung behalten. „Wir kommen auf jeden Fall wieder nach Stuttgart“ und gleichsam nicken sie mit den Köpfen, wenn ich Ihnen berichte, dass ich dann auch wieder 1 Woche mit Übernachtung dort proben werde.

Es waren nur 2 Tage mit Kindern vor Ort, aber da sie in der Residenzwohnung und im Theater eine bejahende Atmosphäre vorfanden, ein Ja zum Kind einer Tänzerin, sind sie so lustvoll damit verknüpft. Und natürlich sind wir mit der Zahnradbahn gefahren, haben Eis gegessen und auf dem Marienplatz in der Sonne gesessen, aber genauso selbstverständlich ließen sie sich für das Projekt interviewen oder zuckelten mit den Öffentlichen durch die Stadt, um noch fehlende Requisiten zu besorgen. Das alles gab ihnen einen tiefen Eindruck in den Ort, wo ihre Mutter tagelang abwesend ihre Probearbeiten absolvierte und absolvieren wird.

Das Ja zu meiner Mutter entspannte mich enorm, zumal ich keine Energie aufwenden musste, um den Faktor zu vertuschen oder im Falle zu bagatellisieren. Umso mehr war ich frei in meiner Arbeit am Stück und der Offenheit meiner Kolleginnen gegenüber. Keine zweifelte an, dass jede alle zur Verfügung stehende Energie in das Performance-Projekt geben wird und Keine ihre Kinder vorzuschieben versucht, um den Unannehmlichkeiten zu entkommen. Ich habe tatsächlich noch nie ein Projekt erlebt, welches so verständnisvoll und gleichsam hoch motiviert an der Kunst ein Kunstwerk zusammen erschaffen hat. Das direkt vor Ort sein, das Bett beinahe im Probenraum und doch so getrennt voneinander das private und berufliche zu erleben war enorm gewinnbringend. Morgens meine Kollegin Miriam aus dem Bett schlüpfen zu sehen und dann später mit ihr, nach einem ruhig angegangenen Frühstück, uns in voller Ekstase die Improvisationen, Proben der Choreografien, Entwicklung der Ideen und Vertiefung des Erforschten zu erleben, begeisterte mich absolut.

Die Unterschiedlichkeit der Künste vervollständigte unsere künstlerische Dimensionalität. Nach einem ausgiebigen Tanz- Warm-Up glitten wir in Lydias Gesangsübungen, um uns dann in Miriams Schauspiel-Training wiederzufinden. Ich war vollkommen überrascht, was da aus meiner Stimme herausgekitzelt wurde. Ich achtete diese Frauen, welche so frei und kreativ sich ins Volle stürzten, gerade für diesen Kontrast, gerade noch gestillt oder ihre Kinder versorgt zu haben. Und gerade diese Kraft und Bescheidenheit in den Umständen der eventuellen Müdigkeit oder dem Probenbedarf, weil etwas noch nicht ganz so lief, wie eine selbst wollte, sah ich von der Kraft der Mutter kommen.

Ein Genuss war es ebenso unsere Wissenschaftlerin Angela, die ich gefühlt schon kenne, jedoch nie mit ihr in einem realen Raum war, nur in Zoom-Meetings kenne. Zu erleben, wie tiefgründig und ernsthaft, jedoch mit Humor sie diese Forschungsreise mit uns antrat und zu Ende brachte. Ihre Art zu denken und die Dinge in aller Gründlichkeit zu hinterfragen und zu erforschen gingen für mich noch einmal eine Stufe weiter, was und wie ich es bis hier erlebt hatte. Ich habe eine so vertrauensvolle Gesamtstimmung in unserem Team erlebt, was ich gerade im reinen Frauenkreise als sehr energetisierend und unterstützend empfand. Auch unsere jüngste Mutter im Projekt ließ mich staunen und mich an damalige Zeiten erinnern, wie an zwei so wichtigen und wertvollen Orten Kunst und Mutter gegeben und aber auch gefordert wird. Jede einzelne hat für mich in diesem Projekt einen enorm hohen Anspruch an sich selbst gezeigt, welches einen echten Push bedeutete. Die Lust, zusammen in neue Bereiche zu gehen, hat das Projekt für mich sehr kompetent und tiefgreifend gestaltet.“

„Dass die eigentliche Residenz begann, vor Ort, und wir aus Freiburg, Karlsruhe und Heidelberg zusammenkamen, trotz Pandemie und manchmal mit Kindern, mal ohne, mal zu dritt, mal zu zweit vor Ort, die anderen aber immer im Prozess über Telefon, über Zoom – zu wissen, dass es bei allen arbeitete und es mit uns allen etwas machte, wir uns bis heute nie alle auf einmal live gesehen haben und wir uns und unseren Familien trotzdem vertraut sind, das habe ich zuvor noch nie erlebt. Die drei Wochen der Residenz waren so intensiv, emotional und voller Freude an der gemeinsamen Arbeit. Unsere Arbeitshaltung führte dazu, stets zu hinterfragen wie es so gehen kann, dass es uns eben nicht zerreißt, wir aber trotzdem alle brennenden Dinge ausprobierten, offen und herausfordernd zugleich – das war faszinierend. An Tagen mit Kindern wurde nichts erzwungen, vor allem nicht das Arbeiten in einem für Kinder wenig einladenden Raum, was die meisten Theater mehr oder weniger sind. Wir sammelten Material und veranstalteten Arbeitstreffen auf dem Spielplatz oder ‚zuhause‘ in der Künstler*innenwohnung, welche gleich zum Wohlfühlort für uns wurde, wo Arbeit und Kinder zusammen liefen und tolle Interviews und Audiomaterial entstanden sind.“

„Die Residenz im Lockdown – in der Vorbereitungszeit zu 6 TAGE FREI haben wir gelernt, zu improvisieren, immer nur kurzfristig zu planen und alle Möglichkeiten offen zu halten. Das sind Fähigkeiten, die wir mit Beruf und Kindern ohnehin schon lange einüben (mussten). Durch die sich aufgrund der Pandemie ständig ändernden Rahmenbedingungen waren wir nun noch mehr in unserem Improvisationstalent gefragt – und das in einem sechsköpfigen Team, in dem jede von uns ganz nebenher noch Familie, andere Jobs, pandemische und persönliche Herausforderungen bewältigen musste.

Dennoch, und das ist, das, was mich am meisten beeindruckt hat, ist es uns gelungen, aus der UNSICHT BAR ein wahrhaftig gemeinschaftliches Projekt zu machen. Und ein persönliches – und das, obwohl wir uns bisher teilweise nur digital kennen. Die UNSICHT BAR ist gewachsen, nicht, obwohl wir all diese zusätzlichen Herausforderungen unter einen Hut bringen mussten, sondern weil: Weil wir alle in dieser Lage waren und sind, ist die UNSICHT BAR zu unserem gemeinsamen Hut geworden. Und sie hat Freude gemacht und war produktiver, als so manche andere berufliche Herausforderung, in der man alleine unter dem Druck einer scheinbaren Trennung von Privatem und Arbeit, unter dem ständigen Schein einer professionellen Ausschließlichkeit zu arbeiten versucht. Unser Credo war von Beginn an: Nicht so tun, als ob, sondern zeigen, wie es ist. Die Arbeit in der Residenz hat mir deutlich gemacht, dass Arbeit mehr sein kann, als sich entscheiden zu müssen. In der UNSICHT BAR war ich nicht nur eine Arbeitskraft. Ich war Wissenschaftlerin und Mutter, Ehefrau, Tochter, Freundin und ich hatte zugleich nicht das ständige Gefühl, eine dieser Rollen für die andere zu vernachlässigen. Wir haben uns gegenseitig ernst genommen und respektiert und das hat unsere Arbeit nicht eingeschränkt, sondern verbessert. Diese Art der Arbeit hat meinen drei kleinen Kindern, meinem Mann und mir gut getan – es hat aber auch meine und unser aller Arbeit authentischer, aussagekräftiger und besser gemacht.

Bei mir bleibt hängen: Wenn man die Strukturen schafft und wenn sich alle darauf einlassen, dann kann aus einer Zusammenarbeit ein Zusammenhalt werden, von dem alle profitieren.“

„Das Projekt hat viel mit mir gemacht, Themen aufgewühlt. Ein Theaterprojekt mit zwei kleinen Kindern (0 und 2 Jahre alt), in einer anderen Stadt, zu Corona-Zeiten, ein Stück entwickeln und eine neue Arbeitsweise ausprobieren/ausloten? Auf das hätte ich mich nie eingelassen, wenn ich nicht Vertrauen in Miriam gehabt hätte. Miriam war meine allererste Gesangsschülerin und schon damals unbeirrbar, kreativ, unzähmbar und extrem empathisch. Also wagte ich es und war schon nach dem ersten Treffen via Zoom inspiriert und beeindruckt von unserer Gruppe. 

Viele bis dahin unbewusste Entscheidungen wurden im Verlauf des Projektes aufgewühlt, hinterfragt, unterfüttert. Immer wieder öffnete sich ein Fenster aus meiner kleinen (sehr schönen, wenn auch superanstrengenden) Welt. 

Die Residenzzeit selbst war logistisch extrem herausfordernd. Nur zu stemmen durch meinen Mann und meine Schwiegermutter, die mir selbstverständlich den Rücken freigehalten haben, die mein Künstlerinnensein nie in Frage stellen. 

Der Konflikt in mir selbst blieb, aber ich wuchs- an mir, an uns. Wir (Mütterkünstlerinnen) bestärken uns, glauben an uns, achten uns, inspirieren uns. Das ergab und ergibt eine Energie, die alles mehr als kompensiert und kleinlich erscheinen lässt, was uns vielleicht objektiv schwächt. 

Selten habe ich mich so mit einer Sache, einem Stück identifiziert- selten so viele Diskussionen ausgelöst. Ich bin sehr dankbar für den Mut – unseren, den des Festivals und des Theaters. Jetzt freue mich auf ein mutiges Publikum.“

Magda Agudelo suchte im Rahmen ihrer #TAKECARERESIDENZ nach Bühnen im öffentlichen Raum: Was für ein Theater braucht Bad Cannstatt, der älteste Stadtteil Stuttgarts? Welche Geschichten wollen die Bewohner*innen erzählen oder sehen? Welche Formate passen zu diesen Geschichten? An welchen konventionellen oder alternativen Orten finden diese Geschichten ihren Platz? Hier ein kurzer Arbeitsbericht der Künstlerin:

Magda Agudelo ließ sich bei der Recherche „Volks*theater – Vision für Cannstatt“ von einem Satz aus Peter Brooks Der leere Raum inspirieren: „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist“. Den Satz formulierte sie für das Projekt folgendermaßen um: „Man kann unzählige Räume nehmen und zum Ort des performativen Geschehens umfunktionalisieren. Eine komplette Stadt kann zur Bühne gemacht werden.“

Der Schwerpunkt des Projekts war die Suche nach „Bühnen“ im öffentlichen Raum im Stuttgarter Bezirk Bad Cannstatt. Es ging auch um das Identifizieren von Themen, die für dieses Stadtgebiet wichtig sind und mit performativer Kunst behandelt werden können. Bad Cannstatt hat eine komplexe Überlappung von historischen Entwicklungen: von keltischen Fürstengräber über die Römer um 90 n. Chr., die Zeit der Industrialisierung mit metall- und steinverarbeitender Industrie, die Erfindung des Benzinmotors und die erste Büstenhalterfabrik. Sie war im 18. u. 19. Jahrhundert eine wichtige Hafenstadt und auch ein international bekannter Kurort mit orthopädischen Heilanstalten und Hautkliniken. Dabei spielten ihre Heil- und Mineralwasserquellen eine wichtige Rolle.

Parallel zur thematischen Recherche wurde der Bezirk besichtigt und zahlreiche Orte als potenzielle Bühnen identifiziert, aufgelistet und fotografiert. Es folgte eine Intervention auf digitalen Karten. „Bühnen“ in Parkanlagen, an den zahlreichen Brunnen des Bezirks, in der Altstadt, im damaligen Steinbruch – heute Travertinpark – und am Neckar wurden verortet. Dieses Material befindet sich in dem „offenen Arbeitsbuch „Bad Cannstatt – ein Ort für performative Kunst““. Dieses soll als Inspiration für performative Kunst im öffentlichen Raum dienen und eine partizipative Auseinandersetzung mit dem Bezirk und dessen Einwohner*innen, sowie eine transformative Wirkung oder eine Wiederbelebung der Orte anstoßen.

Während der Residenz hat Agudelo die Faszination für die urbane Landschaft – mit all ihren Phänomenen, ihrer Schönheit, ihren Prozessen, ihren Wiedersprüchen – wieder entdeckt. Ihre Vision für Bad Cannstatt ist ein laufendes Programm mit Darbietungen verschiedener performativer Kunstrichtungen. Sie will eine interdisziplinäre, performative Kunstpraxis in Bad Cannstatt etablieren.

Mehr über die Recherche auf der Website der Künstlerin: www.magda-agduelo.de


Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR. Der Fonds Darstellende Künste hat im Rahmen seines Programms #TAKETHAT ein Förder-Modul für Künstler*innen-Residenzen an Theaterhäusern eingerichtet, die im Bundesnetzwerk FLAUSEN+ organisiert sind. So kann auch das Theater Rampe 13 Künstler*innen aus seinem Umfeld diese #TAKECARERESIDENZ ermöglichen und begleiten.

Laura Schilling widmet sich im Rahmen ihrer #TAKECARERESIDENZ einer szenischen Recherche über den „Lübcke-Prozess“, den sie am OLG Frankfurt beobachtet hat: Wie übersetzt sich das rechtliche Geschehen in künstlerische und gesellschaftliche Resonanzräume? Das Theater als „andere“ Öffentlichkeit dient als Raum der Orientierung für die Frage: Wie kann man der Normalisierung rechter Diskurse entgegentreten? Hier ein kurzer Arbeitsbericht der Künstlerin:

Es ist kurz vor sechs Uhr am 16.06.2020, im dämmrigen Morgenregen vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat sich eine lange Warteschlange gebildet. In dem Gebäude gleich um die Ecke der Konstablerwache wird in vier Stunden der Prozess gegen Stephan Ernst und Markus H. eröffnet. Verhandelt wird der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der rassistische Angriff auf Ahmed I.

Vor dem Gerichtsgebäude, über dessen Eingang Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ in groben, sperrigen Buchstaben geschrieben ist, stehen Journalist_innen teilweise seit den späten Abendstunden des Vortages an. Ein Journalist erzählt uns, dass er für das Freihalten eines Platzes über Nacht 200 Euro gezahlt habe. Der Prozess in Frankfurt steht unter besonderer Beobachtung: Juristisch ist der Strafprozess ein Staatsschutzverfahren wegen des politischen Charakters der Straftat. Medial erfährt der Prozess erhöhte Aufmerksamkeit, weil ein Neonazi mutmaßlich zum ersten Mal seit 1945 einen Politiker ermordete.

„Prozessbeobachtung“ ist der Versuch den über sieben Monate laufenden Gerichtsverhandlung performativ zu befragen. Wie kann eine Übersetzung des rechtlichen Geschehens in künstlerische und gesellschaftliche Resonanzräume geschehen? Wie ist sie bereits geschehen? Wir beginnen diese Erinnerungsarbeit, in der unsere subjektiven Erfahrungen als Zeug:innen des Verfahrens durch intersubjektive Erinnerungen der Medien, die Narrative der Öffentlichkeit, versuchte objektive Prozessprotokolle herausgefordert werden. Wir werden zu doppelten Zeug:innen: Wir können bezeugen, wie Zeug:innen während der Verhandlungen versucht haben sich zu erinnern, während wir uns in dem Prozess selbst zu erinnern versuchen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist neben dem Mündlichkeitsgrundsatz und Unmittelbarkeitsprinzip eine Prozessmaxime des Strafrechts, die nur in absoluten Ausnahmen eingeschränkt werden darf. Aber welche Öffentlichkeit sitzt eigentlich im Gerichtssaal? Wer wohnt der Verhandlung bei? Wie halten wir das Gesehene, Gehörte, Gefühlte fest? Über die Ausgestaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes kann der Strafsenat entscheiden und der vorsitzende Richter Sagebiel hat entschieden, dass keine elektronischen Geräte im Publikumsraum erlaubt sind. Erinnern heißt, assoziativ statt wortwörtlich, subjektiv statt dokumentarisch vorzugehen. Beobachtungen werden nachträglich nach Schwerpunkten und Thematiken geordnet, statt chronologisch wiedergegeben, sind oftmals unverfügbar, bis sie durch eine Gesprächssituation wachgerufen werden. Vergessen ist Teil unserer Prozessbeobachtung, der keine unmittelbare Stütze erlaubt ist, denn ohne Akkreditierung darf nicht mitgeschrieben werden. Unsere Prozessbeobachtung ist darauf angewiesen, sich zu erinnern. Zur Begleitung des Prozesses haben wir wöchentlich ein Podcastformat aufgenommen, in dem wir über unsere Beobachtungen und Wahrnehmungen gesprochen haben.

Die erste szenische Versuche innerhalb des Residenzzeitraums waren Hinweise für uns und eingeladene Betrachter:innen, dass die künstlerische Bearbeitung des Prozesses und der gesammelten Erinnerungen performativ etwas ‚Anderes‘ als die Medienberichterstattung über diesen Prozess entstehen lässt. Diese ‚andere‘ Öffentlichkeit des Theaterraums kontextualisiert die Öffentlichkeit des Gerichtraums. Denn diese bleibt, wie Cornelia Vismann, Medientheoretikerin, herausstellt, immer auch ein Ideal: Die Architektur des Gerichtssaals ist immer zugleich die Umsetzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes. „Es beginnt mit dem Rückzug in ein geschlossenes Gebäude, in dem die Zahl der Sitzplätze über die Größe der Öffentlichkeit entscheidet.“ (Vismann 2011, 134) Diese andere Öffentlichkeit bleibt auch der Raum, in dem eine andere Erzählung von dem Prozess stattfinden kann, eine andere Erzählung über Hass, rechte Gewalt und Rassismus. Ein anderer Raum, in dem Betroffenen zugehört wird. Ein anderer Raum, in dem Rassismus und rechte Gewalt nicht normal sind. Ein anderer Raum, in dem wir entwerfen können, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Artikelreihe diskus: https://diskus.copyriot.com/news/prozessbeobachtung-mythos-einzeltaeter

Kontaktmöglichkeit: prozessbeobachtung@gmx.de

Josephine Stamer, Arthur Romanowski, calendal und Laura Schilling trafen sich in Gießen beim Studium der Angewandten Theaterwissenschaft. Gemeinsam interessieren sie sich in ihrer Theorie und ästhetischen Praxis für gesellschaftliche und politische Strukturen der Vergangenheit und Gegenwart, ohne den Fluchtpunkt eines zukünftigen emanzipierten Miteinanders aufgeben zu wollen. In unterschiedlichen Konstellationen arbeiteten sie gemeinsam an Theater-, Performance-, Choreografie- oder Soundprojekten kollaborativ.

Josephine Stamer (*1992) ist wohnhaft in Köln und arbeitet als Performerin, Sounddesignerin, DJ und Kuratorin. Sie studiert aktuell Klang und Realität an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. Sie arbeitet in verschiedenen Konstellationen und in verschiedenen Rollen an künstlerischen Projekten – meist an den Schnittstellen zwischen Klang, Bewegung und Installation.

Arthur Romanowski, (*1992) geboren in Berlin, arbeitet als Autor, Performer und Regisseur. Mit Irgendwas für Irgendwen an Irgendeinem Tag im Juni erhielt er 2018 den Jury-Preis der Körber Stiftung.

Laura Schilling (*1995) geboren in Wurzen, Sachsen, lebt zurzeit in Frankfurt a.M., wo sie den Masterstudiengang Curatorial Studies an der Städelschule und Goethe-Universität Frankfurt absolviert. Sie arbeitet als Kuratorin und Dramaturgin. calendal, (*1994) geboren und aufgewachsen in und um Berlin und Bremen, arbeitet mit choreographischen, performativen und szenografischen Mitteln als Teil der apokalyptischen tänzerin*nen, solo und in weiteren kollaborativen Arbeitsformen an Fragen wie sich Gesellschaften strukturieren, wie solidarische Strukturen in einer neoliberalen Gesellschaft denkbar sind und wie, auf massivem Unrecht beruhende, Hierarchien und Verhaltensmuster dekonstruiert und entlernt werden können.


Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR. Der Fonds Darstellende Künste hat im Rahmen seines Programms #TAKETHAT ein Förder-Modul für Künstler*innen-Residenzen an Theaterhäusern eingerichtet, die im Bundesnetzwerk FLAUSEN+ organisiert sind. So kann auch das Theater Rampe 13 Künstler*innen aus seinem Umfeld diese #TAKECARERESIDENZ ermöglichen und begleiten.

Vergangene Woche arbeitete die Cellistin Céline Papion im Rahmen ihrer #TAKECARERESIDENZ an ihrem Recherche-Projekt „Musik in Bewegung“. Seit Jahren entwickelt sie ihre Arbeit als Cellistin in Richtung “Neues Musiktheater”, hin zu einer eigenen performative Sprache basierend auf dem Prinzip der „sichtbaren Musik“. Hier ein kurzer Arbeitsbericht: “Welche Rolle spielt der Körper der Musikerinnen und Musiker auf der Bühne? Wie wird er in interdisziplinären Projekten thematisiert? Für diejenigen unter uns Musiker:innen, die sich auf Streifzüge in die Welt der “Sichtbaren Musik” begeben, die viel mehr erfordert als das, worin wir ausgebildet wurden, ist es an der Zeit, uns ernsthaft mit diesen neuen Formaten auseinanderzusetzen.

Wie werden wir gut darin (was auch immer das bedeuten mag), Körper auf der Bühne zu sein (faire corps)? Je mehr Musik-Akteur:innen sich im interdisziplinären Raum zwischen Theater, Tanz und Klangkunst niederlassen und sich die Einbeziehung von verkörperten und theatralischen Elementen in der neuen Musik normalisiert, desto intensiver sollten sich Musiker:innen mit Entwicklungsprozessen von Aufführungen befassen. Welche Erfahrungen oder Werkzeuge außerhalb der Musik kann ich in meinen eigenen Arbeitsprozess und meine eigene Ästhetik einfließen lassen? Finde ich überhaupt die Worte, um genau zu vermitteln, was ich hier entstehen lasse?”

Seit Jahren entwickelt Céline Papion ihre Arbeit als Cellistin in Richtung Neues Musiktheater hin zu einer eigenen performative Sprache basierend auf dem Prinzip der „sichtbaren Musik“. In der durch COVID eingeschränkten Situation, hat sie sich vorgenommen, mittels Recherche und Konzeptionsentwicklung ihre performative Praxis weiterzuentwickeln und sich konkret der Frage nach der Beziehung zwischen Körper und Komposition zu widmen.

Der Kern ihrer Recherche konzentrierte sich zunächst auf den Körper des ausführenden Musikers und der ausführenden Musikerin und seine:ihre Beziehung zum Instrument im Allgemeinen. Dafür hat sie sich auf viele Quellen aus Kunst, Musik, Soziologie und Philosophie gestützt und mittels eines selbst erstellten Fragebogens den Austausch mit anderen Künstler:innen gesucht. Die Informationen und Reflexionen flossen in ein Tagebuch ein.

Gleichzeitig ist sie auf verschiedenen Ebenen in die Praxis eingestiegen: z.B. im Bereich Tanztheater durch Improvisations-Sessions mit der Schauspielerin Franziska Schmitz und der Choreografin Eva Baumann, aber auch in der Zusammenarbeit mit der Komponistin Yiran Zhao. Gemeinsam arbeiten sie an einem Stück, das sich dem Körper der Cellistin UND dem Körper ihres Instruments widmet: “Journal de mes deux corps”. Ausgangsidee und Materialquelle ist das aus der Recherche entstandene theoretische sowie persönliche und sinnliche Tagebuch.

Mehr über die Recherche auf der Website der Künstlerin: www.celinepapion.net/faire-corps/


Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR. Der Fonds Darstellende Künste hat im Rahmen seines Programms #TAKETHAT ein Förder-Modul für Künstler*innen-Residenzen an Theaterhäusern eingerichtet, die im Bundesnetzwerk FLAUSEN+ organisiert sind. So kann auch das Theater Rampe 13 Künstler*innen aus seinem Umfeld diese #TAKECARERESIDENZ ermöglichen und begleiten.

Das teatru-spălătorie, eine unabhängige Künstler*innen-Initiative, wurde 2010 als eine Plattform für Künstler*innen der moldawischen Independent-Kultur gegründet. 2011 hat teatru-spălătorie auch ein Residenz-Programm aufgelegt, das jungen moldawischen Künstler*innen die Möglichkeit zum Austausch mit lokalen und internationalen Gästen bietet. Seit 2018 waren sie mit mehreren Arbeiten am Theater Rampe zu Gast und eigentlich wären sie gerade für eine Residenz in Stuttgart, doch wegen der Pandemie kann die Gruppe nicht nach Deutschland reisen. Ein kurzer Bericht aus Moldawien:

„Letztes Jahr, am 19. Januar 2020, sind wir nach Stuttgart gereist, um DIE ABSCHAFFUNG DER FAMILIE im Theater Rampe aufzuführen. Das sollte unser letzter Auftritt auf der Bühne sein. Kurz darauf begann die Pandemie. Dieses Jahr, am 10. Januar 2021, sollten wir als Teil des Arbeitsprozesses für unsere neue Performance DIE SYMPHONIE DES FORTSCHRITTS (AT), eine Produktion des HAU Hebbel am Ufer, eine einmonatige Residenz an der Rampe beginnen. Da Deutschland bis Ostern im Lockdown ist, haben wir die Residenz hier, in Chisinau, organisiert. Mit der Unterstützung des Theater Rampe haben wir sogar die Möglichkeit bekommen, die Residenz auf zwei Monate zu verlängern. Das ist ein ganz großes Glück und Privileg. Wir haben keine eigene Spielstätte in Chisinau und einen Raum zu mieten, um zu arbeiten, zu proben und zu experimentieren, selbst für einen kurzen Zeitraum, wird immer teurer und unerschwinglicher.

In unserer neuen Arbeit wollen wir über Gewalt sprechen. Wenn wir über Gewalt sprechen, beziehen wir uns normalerweise auf verschiedene Formen physischer Gewalt, wir sprechen über Mord, Überfälle, Vergewaltigung; wir sprechen über Massentötungen, ethnische Säuberungen, Kriege. Wir neigen auch gewöhnlich dazu, Gewalt als etwas zu bezeichnen, das typisch für die Ungebildeten, für die Unzivilisierten ist. Und wir scheinen die anderen Formen, die Gewalt in unseren Gesellschaften angenommen hat, nicht zu bemerken oder ihnen wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Es gibt eine Gewalt in der Art und Weise, wie ein Staat beschließt, sich aus der Entwicklung und Unterstützung des Wohlergehens seiner Bürger zurückzuziehen; wenn er beschließt, Schulen, Krankenhäuser, Bibliotheken und Kulturzentren in ländlichen, armen, marginalisierten Regionen zu schließen. Es gibt eine Gewalt in der Demokratie selbst, in der Art und Weise, wie politische Entscheidungen auf demokratische Weise getroffen werden, die dazu neigen, mehr und mehr die Unterprivilegierten zu treffen und den Machthabern nutzen. Eine Gewalt, die definitiv während der Pandemie gediehen ist, wenn manche Länder ihre Bürger schützen und etwa Wanderarbeiter ausbeuten.

Noch wissen wir nicht, wann und ob, oder gar unter welchen Umständen wir unser Stück uraufführen können. Für den Moment sind wir dankbar, dass wir daran arbeiten können.“

DIE SYMPHONIE DES FORTSCHRITTS (AT) ist eine Produktion von HAU Hebbel am Ufer und teatru-spălătorie. Koproduktion: FFT Düsseldorf, HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden, Theater Rampe Stuttgart, Festival Theaterformen. Gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen der Alliance of International Production Houses.


++++ ENGLISH VERSION ++++

The teatru-spălătorie, an independent artists‘ initiative, was founded in 2010 as a platform for artists of Moldovan independent culture. In 2011, teatru-spălătorie also launched a residency program that offers young Moldovan artists the opportunity for exchange with local and international guest artists. Actually, they would be in Stuttgart right now, but because of the pandemic the group cannot travel to Germany. A short report from Moldova:

„Last year, on 19th January 2020, we were traveling to Stuttgart to perform THE ABOLITION OF THE FAMILY at Theater Rampe. That turned out to be our last time to perform on stage. Soon after the pandemic started. This year, on 10th  January 2021, as a part of the working process on our new performance THE SYMPHONY OF THE PROGRESS (working title), produced by HAU Hebbel am Ufer, we were supposed to start a one-month-residency at Theater Rampe, one of the co-producers of the performance. As Germany went into another lockdown until Easter, we organised the residency here, in Chisinau. We even got, with the support of Theater Rampe, the possibility to extend it into a two-month-period. This is quite a big luck and privilege. We don’t have our own venue in Chisinau and renting a space to work, rehearse and experiment even for a short period of time, is becoming more and more expensive and unaffordable. 

In our new work we want to talk about violence. When we discuss violence, we usually refer to different forms of physical violence, we talk about murder, assaults, rape; we talk about mass killings, ethnical cleansing, wars. We also usually tend to refer to violence as something that is typical to the uneducated ones, to the uncivilized ones. And we don’t seem to notice or pay much attention to the other forms that violence has taken in our societies. There is violence in the way a state decides to withdraw from developing and supporting the well-being of its citizens; when it decides to close schools, hospitals, libraries, and cultural centers in rural, poor, marginalized regions. There is a violence in the democracy itself, in the way political decisions are taken in a democratic manner tend to hit more and more the underprivileged communities and to benefit the ones in power. A violence that has definitely only flourished during the pandemic when in some countries own citizens were protected and migrant workers were exploited. 

We still don’t know when and if, or even under which circumstances we will be able to premiere our play. For the moment we are grateful that we can work on it.“

THE SYMPHONY OF THE PROGRESS is a production: HAU Hebbel am Ufer and teatru-spălătorie. Co-production: FFT Düsseldorf, HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden, Theater Rampe Stuttgart, Festival Theaterformen. Funded by the Federal Government Commissioner for Culture and the Media as part of the Alliance of International Production Houses.

Ab Januar 2021 sind 13 Künstler*innen am Theater Rampe in Residenz. Sie nutzen jeweils bis zu acht Wochen des vermeintlichen Stillstands für Recherchen und zur künstlerischen Weiterentwicklung. Sie vertiefen nachhaltig ihre ästhetischen Fragestellungen, erschließen sich Felder oder Methoden, setzen Impulse für das postpandemische Theater. Wozu im produktionsorientierten Kulturbetrieb sonst kaum zeitliche, räumliche oder finanzielle Ressourcen verfügbar sind, dazu ist hier Gelegenheit.

Der Fonds Darstellende Künste hat im Rahmen seines Programms #TAKETHAT ein Förder-Modul für Künstler*innen-Residenzen an Theaterhäusern eingerichtet, die im Bundesnetzwerk FLAUSEN+ organisiert sind. So kann auch das Theater Rampe 13 Künstler*innen aus seinem Umfeld diese #TAKECARERESIDENZ ermöglichen und begleiten.

Die Residenzen finden digital oder analog statt. Wir werden hier darüber weiter berichten. Das sind die Künstler*innen und ihre Vorhaben:

Céline Papion

Recherche – Musik in Bewegung

Seit Jahren entwickelt Céline Papion ihre Arbeit als Cellistin in Richtung “Neues Musiktheater”, hin zu einer eigenen performative Sprache basierend auf dem Prinzip der „sichtbaren Musik“. Zur Frage nach Körper und Komposition wird sie während der Residenz recherchieren und ihre performative Praxis erweitern.

Philine Pastenaci

Am unteren Rand

Philine Pastenaci führt Interviews mit Menschen am Rand der Gesellschaft: mit Obdach-, Wohnungs- und Langzeitarbeitslosen spricht sie über ihre Lebensrealität, die sich seit der Coronakrise stark verändert hat. Die Recherche soll in eine Audio-Arbeit fließen und ggf. in ein Skript, die Grundlage für eine Neue Musik-Komposition werden kann. Sie möchte damit die oft nicht sichtbaren Geschichten hörbar machen.

Laura Schilling

Im Blick der Öffentlichkeit

Laura Schilling widmet sich einer szenischen Recherche dem „Lübcke-Prozess“, den sie am OLG Frankfurt beobachtet hat: Wie übersetzt sich das rechtliche Geschehen in künstlerische und gesellschaftliche Resonanzräume? Das Theater als „andere“ Öffentlichkeit dient als Raum der Orientierung für die Frage: Wie kann man der Normalisierung rechter Diskurse entgegentreten?

Justyna Koeke

Age and the City

Justyna Koeke recherchiert zu älteren Frauen im öffentlichen Raum. Besonders nachts zeigt sich die Abwesenheit und Ängstlichkeit der älteren Generation deutlich. Die Künstlerin sucht nach Formaten, die dagegen wirken können. Geplant sind neben Interviews auch Interventionen im nächtlichen Stadtraum: Abendspaziergänge, Fotografieren, und Kostümentwicklungen, die Frauen ermutigen.

Ülkü Süngün

KulturKanakisierungsKommission

Ülkü Süngün möchte Stuttgarter Kulturinstitutionen kritisch unter die Lupe nehmen: Wird überall, wo Diversität draufsteht, auch Diversität gelebt? Eine umfassende Recherche und die Gründung einer KulturKanakisierungsKommission sollen helfen, Strukturen zu hinterfragen, Räume zu öffnen und rassismuskritische und dekolonisierende Praktiken zu stärken sowie ein erweitertes WIR zu konstituieren.

die apokalyptischen tänzerin*nen  –  Jasmin Schädler & Sara Glojnarić

Über-Setzen

Sara Glojnarić und Jasmin Schädler erforschen im Rahmen ihrer Residenz die Performativität des Übersetzens. Die Übersetzung wird zum künstlerischen Ausdruck – musikalisch, sprachlich und als Mittel der Intervention. Demgegenüber steht eine kritische Befragung gängiger Übersetzungspraxis. Sie erarbeiten während der Residenz übersetzungskritische Performance-Skizzen. 

Surja Ahmed

bond_ASAP_Raumrecherche

Die veränderten Bedingungen durch die SARS-CoV-2-Pandemie regen zu einem Überdenken vorherrschender Raumordnungen an. Die Notwendigkeit eines physischen Ortes des Austauschs wird offensichtlich, doch wie können solche Orte aussehen? Surja Ahmed untersucht welche Rollen Theater und Kunstvereine hier spielen, wie funktioniert an diesen Orten Begegnung und welchen Themen sollten sie Raum geben?

Magda Agudelo

Volks*theater-Vision für Cannstatt

Magda Agudelo sucht nach Bühnen im öffentlichen Raum: Was für ein Theater braucht Bad Cannstatt, der älteste Stadtteil Stuttgarts? Welche Geschichten wollen die Bewohner*innen erzählen oder sehen? Welche Formate passen zu diesen Geschichten? An welchen konventionellen oder alternativen Orten finden diese Geschichten ihren Platz?

Edan Gorlicki

Ghost Gestures

Seit 2015 entwickelt der israelische Choreograf Edan Gorlicki Stücke in Baden-Württemberg. In Arbeiten wie „Lucky Bastards“ und „Impact“ untersucht er gesellschaftliche Themen und die Verantwortung von Künstler*innen und Publikum. Sein Recherche-Projekt Ghost Gestures stellt die Frage, wie sedimentierte körperliche Erinnerungen und nicht inszenierte Bewegungen in der choreografischen Arbeit eingesetzt werden können.

Fender Schrade

Zuhören

Fender Schrade beschäftigt sich in seinem Projekt mit Zuhören als aktivem Prozess im Kontext von Musik/Klang und Theater. Wie kann Zuhören ein musikalischer/ künstlerischer Prozess sein? Schrade recherchiert u.a. nach Konzepten und Praxen des Zuhörens in öffentlichen Aufführungssituationen, speziell im Feld der zeitgenössischen Performance.

Gruppe CIS

Körper-Bild-Wert

Gruppe CIS ( Sabrina Schray & Judith Engel) flottiert als fluides Kollektiv interdisziplinär und mit unterschiedlicher Besetzung. Sie untersucht soziale Körperschaften im Spannungsfeld medialer Settings und gesellschaftlicher Szenarien. Während der Residenz arbeitet Gruppe CIS zum Material „menschlicher Körper“ anhand der Erstellung eines historischen Archivs und Strategien zum disruptiven Potential unseres Fleischs.