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Archiv des Autors: kuhlerampe

Angeschlossen ans NFT (Netzwerk Freier Theater), ist das Theater Rampe erneut ein Ort der #TakeHeart Residenzförderung des Fonds Darstellende Künste im Rahmen von NEUSTART KULTUR. Zwei Monate lang widmen sich 12 Künstler*innen wieder ergebnisoffenen Forschungsprozessen: Labore, Recherchen und Konzeptentwicklungen:

Von 1. Januar – 28. Februar 2023: Alexander Sowa, Arbeit und Spiel

Alexander Sowa untersucht das politische Moment des Festes und des Spiels als Grundlage von Politik selbst.
Diese richtet ihre gesamte Energie allerdings auf die Arbeit, in deren Opposition die beiden anderen Bereiche
gerückt und als Freizeit entpolitisiert werden. Da es besser umgekehrt sein sollte, gilt es das Potential von Fest&Spiel nicht allein in der Unterhaltung und Ablenkung zu betrachten.

15.1. – 15.3.2023: Justyna Koeke, Looking for the background

Während des Stipendiums beschäftigte sich Justyna Koeke mit einem erweiterten Theater- und Bühnenbegriff. Die Fragestellungen, die sie dabei besonders interessierten waren: Welche Bühnensituationen können mit nur minimalen Eingriffen im öffentlichen Raum gesetzt werden? Wie kann der Blick der Zuschauer*innen entsprechend gelenkt werden? Welche Kontexte ermöglichen fruchtbaren interdisziplinären Austausch?

Hierfür ging Justyna Koeke auf zweierlei Arten vor: einerseits hat sie Personen anderer Berufsgruppen in ihr Atelier im Kunstverein Wagenhalle eingeladen, um gemeinsam über nachhaltige, temporäre Bühnenbilder sowie Experimentieren mit einer Vielzahl von Materialien und methodischen Ansätzen zu reflektieren – von Design, über Technik bis hin zu Alltagspraktiken. Andererseits suchte sie im Stadtraum nach vorhandenen Strukturen, um deren Qualitäten als „neue“ oder „zufällige“ Bühnen zu untersuchen.  Koeke setzte sich damit auseinander, wie Alltägliches transformiert werden kann und dadurch nicht nur die momentane Wahrnehmung der Zuschauer*innen geschärft wird, sondern wie eine nachhaltige Veränderung des Aufnehmens aller (alltäglichen) Lebensbereiche bewirkt wird.

Diese Bühnenbilder entstanden durch kleine Manipulationen bestehender Settings: ein trockener Baum im Park wird zu einer Skulptur, die zum Mittelpunkt der Aktion wird. Recherchen zu ökologisch nachhaltiger Materialnutzung und die Auflösung von Grenzen zwischen künstlerischen Sparten sowie die Aufhebung zwischen Kunst, Kunsthandwerk und Design stehen dabei im Fokus. Ziel ist eine Arbeitsmethode zu entwickeln, die das vorhandene nutzt und durch die Veränderung das kreative Potenzial der Imagination freisetzt.

Von 1.3. – 30.4.2023: Magda Agudelo, Der feiernde Körper

In unserer Kultur ist das Erreichen von Freude u. Ekstase häufig mit dem Konsum von Alkohol und Drogen verbunden. Durch welche anderen Wege u. Techniken können diese Gefühle erreicht werden? Bei der Recherche werden Musik und Bewegungsdynamiken gesammelt. Diese werden bei der Suche nach einem performativen u. partizipativen Format verwendet, welches das Erleben von Emotionen des Feierns fokussiert.

Robert Atzlinger, Was bleibt

Auf Friedhöfen untersucht Robert Atzlinger das Sichtbarmachen des Erinnerns, und dokumentiert Beispiele individueller, origineller Symbolik. Ergänzend sichtet er Kundmachungen, Annoncen und Nachrufe. Das Augenmerk gilt dem Sprachgebrauch beim Trauern und den Euphemismen. Die Erkenntnisse lässt Atzlinger mit persönlichen Erinnerungsobjekten und Familienerzählungen reagieren.

Niko Eleftheriadis, For a Change – Mein Leitbild für freies Arbeiten
Welche inszenatorischen und schauspielerischen Methoden, welcher Umgang mit Raum und Zeit im Theaterbetrieb, welche Produktionsabläufe braucht ein freier darstellender Künstler in Zukunft? Wie sorgt er für die eigenen ökologisch-solidarischen Arbeitsbedingungen? Aus der Perspektive des Einzelkünstlers erarbeitet Niko Eleftheriadis ein Leitbild für seine Praxis als Regisseur, Schauspieler und Autor.

Matriarchale Volksküche, Restrukturierung

Die Matriarchale Volksküche steht als Ökonomie der Sorge im Kontrast zur Ökonomie des Marktes und ist mehr als eine Antwort der Frauen auf Krisen: Sie stellt mit radikaler Herzlichkeit den existenziellen Rahmen, den Körper benötigen, um die Suppe auszulöffeln. Nun befragt sie die eigene Struktur und Ressourcen sowie die ihrer Schwestern*, um auch weiterhin kräftig auf den Tisch hauen zu können.

Fender Schrade, Träumen

Fender Schrade beschäftigt sich in dem Rechercheprojekt „Träumen“ mit der unbewussten sonischen Ebene im Schlaf und deren kreativer Wirkung im Kontext von Musik und Klang im Theater/Livekunst. Schrade recherchiert nach Praxen der sichtbar- und Erfahrbarmachung von sonischem Traumbewusstsein speziell im Bezug auf adhoc-Konzerte.

Ülkü Süngun, Aussetzen

Ülkü Süngün lädt dazu ein, die Institution Theater Rampe auszusetzen, um mittels interdisziplinärer Ansätze über die Utopie eines diversen und inklusiven Theaters nachzudenken: durch Strategien des Innehaltens, des Besetzens, Experimentierens wird die Institution zu Themen wie Hanau und rassistischer Gewalt sowie Erinnerungskulturen und intersektionalem Feminismus gestresst werden.

Cycy, Feuer, Feuer und Flamme
Feuer und Flamme ist eine performative Recherche zum Thema Feuer, zu Bewegungen und Narrativen, die im direkten Zusammenhang dazu stehen. Feuer prägt die Menschheit seit jeher und die Menschheit prägt die Welt durch Feuer. Feuer ist ein Mittel der Emanzipation, der Macht, der Vernichtung und des Neuanfangs. Die Gruppe CyCy plant sein performatives Potential freizulegen.


#takeheart

Arbeit – welche Arbeit?

Vom 13. – 15. Oktober betritt das Institut für künstlerische Post-Migrationsforschung mit die aktivistische Bühne und macht Perspektiven sicht- und hörbar, die im Theater oft ausgeschlossen werden: Im TRIBUNAL DER ARBEIT verhandelt die Künstlerin Ülkü Süngün mit ihren Gästen illegale und illegitime Arbeit in Deutschland – und lädt das Stuttgarter Publikum als Zeug*innen ein. Den Auftakt bilden ein Vortrag sowie eine Gesprächsrunde.

Am Samstag, 15. Oktober, verhandelt das Tribunal illegale, illegitime, un- oder unterbezahlte Arbeit in Deutschland, die oft von Arbeitsmigrant*innen oder Geflüchteten verrichtet wird. Eingeladen sind Madgermanes, „Mall of Shame“-Demonstrantinnen, refugees4refugees-Aktivist*innen sowie Pflegekräfte und Erntehelfer*innen. Selbstorganisationen berichten über historische aber auch aktuelle Kämpfe von Arbeiter*innen, die sich gegen diese politisch ermöglichte Ausbeute wehren und notfalls vor Gericht klagen.

Arbeit – welche Arbeit? Eine Perspektive from below | Vortrag von Ellen Bareis am 13.Oktober 2022, 18:00 – 19:30

Was als Arbeit gesellschaftlich wahrgenommen wird, was mit diesem Begriff erfasst wird, erweist sich historisch und ethnographisch als sehr unterschiedlich, ist rechtlich meist jedoch sehr ordentlich kodiert. In der Gesellschaft, in der wir heute leben, setzen wir „Arbeit“ mit bezahlter Arbeit gleich, also mit Lohnarbeit oder Erwerbsarbeit.

Dazu zählen aber auch alle „atypischen Lohnarbeitsverhältnisse“, die rechtlich eher schwach abgesichert sind. Nicht nur prekäre Beschäftigung, sondern auch Zwischenverträge und Lockangebote, Abzocke und inhumane Unterbringung auf „Montage“.

Der Ansatz from below geht davon aus, dass Arbeit der Modus ist, in dem wir Gesellschaft hervorbringen: die Produktion von Gesellschaft from below.

Uns interessiert analytisch, wie „Arbeit“ so kolonialisiert werden konnte, dass Care-Arbeit, Beziehungsarbeit, Klimaarbeit, Gesellschaftsarbeit so unter Rechtfertigungsdruck geraten sind, dass sie nur noch unter „gesellschaftlichem Engagement“ verhandelt werden. Ist „Fridays for future“ Arbeit oder Engagement? Außer ich habe einen bezahlten Job in einer NGO?

Und noch mehr: Wenn diese Tätigkeiten als „Engagement“ und nicht als Arbeit verstanden werden: Was heißt das für all die Arbeit im Alltag, um überhaupt ein Leben organisieren zu können? Sei es auf der Flucht, in der Armut oder in einer privilegierten Situation. Kurz: Mit welcher Arbeit gestalten wir Gesellschaft und ihre Zukunft?

Ellen Bareis, Dr. phil., Professorin mit dem Schwerpunkt „Gesellschaftliche Ausschließung und Partizipation“ und Soziologie an der Hochschule Ludwigshafen, deren Vizepräsidentin sie auch ist. Sie studierte Gesellschaftswissenschaften in Frankfurt/M; promovierte in Frankfurt/M. über Konflikte, alltägliche Nutzung und Kontrolle in urbanen Shoppingmalls. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Alltag und soziale Kämpfe, die Produktion des Sozialen from below und Transformationen des Städtischen sowie Organisationsforschung, (Nicht-) Nutzungsforschung.


Beratung und Bildungsarbeit im Spannungsfeld von Gewalt und Solidarität

Vom 13. – 15. Oktober betritt das Institut für künstlerische Post-Migrationsforschung mit die aktivistische Bühne und macht Perspektiven sicht- und hörbar, die im Theater oft ausgeschlossen werden: Im TRIBUNAL DER ARBEIT verhandelt die Künstlerin Ülkü Süngün mit ihren Gästen illegale und illegitime Arbeit in Deutschland – und lädt das Stuttgarter Publikum als Zeug*innen ein. Den Auftakt bilden ein Vortrag sowie eine Gesprächsrunde.

Am Samstag, 15. Oktober, verhandelt das Tribunal illegale, illegitime, un- oder unterbezahlte Arbeit in Deutschland, die oft von Arbeitsmigrant*innen oder Geflüchteten verrichtet wird. Eingeladen sind Madgermanes, „Mall of Shame“-Demonstrantinnen, refugees4refugees-Aktivist*innen sowie Pflegekräfte und Erntehelfer*innen. Selbstorganisationen berichten über historische aber auch aktuelle Kämpfe von Arbeiter*innen, die sich gegen diese politisch ermöglichte Ausbeute wehren und notfalls vor Gericht klagen.

Beratung und Bildungsarbeit im Spannungsfeld von Gewalt und Solidarität | Gespräch mit Gergana Mineva und Rubia Salgado sowie Annita Kalpaka am 14. Oktober 2022, 15:00  – 19:00
Ausgehend von ihrer Beschäftigung im Feld der Bildungs- und Beratungsarbeit mit migrierten und geflüchteten Frauen* sehen sie sich mit vielen Fragen konfrontiert, die sie im Rahmen dieser Gesprächsrunde gemeinsam diskutieren wollen:

 Vor welche Herausforderungen sind wir gestellt? Welches Verständnis von Professionalität und Aktivismus in der Bildungs- und Beratungsarbeit teilen wir? Welche Widersprüche ergeben sich durch die
 Erwartungen und Aufträge an uns durch Fördergeber*innen und staatliche Instanzen aber auch durch die Adressat*innen und wie können wir mit ihnen umgehen? Inwieweit sind wir in unserer Tätigkeit selbst Teil von den herrschenden Gewalt-, Ausbeutungs- und Machtverhältnissen und reproduzieren diese? Und wie könnte eine widerständige Beratungs- und Bildungspraxis aussehen, die weniger systemstabilisierend, sondern kritisch, feministisch, antirassistisch, dekonstruierend und solidarisch ist?

 Die Veranstaltung soll einen Rahmen bieten, um sich im Geflecht von (postkolonialen, rassistischen und epistemischen) Macht-, Gewalt- und Ausbeutungsverhältnissen mit der eigenen Rolle als Pädagog*innen und Berater*innen/Sozialarbeiter*innen auseinanderzusetzen.

 Gergana Mineva und Rubia Salgado (das kollektiv / maiz) das kollektiv ist eine Organisation von und für Migrant*innen in Linz/Oberösterreich; es ist ein Ort der kritischen Bildungsarbeit, des Austausches, des Widerspruchs und der gemeinschaftlichen Gestaltung. Wir sind u.a. in der Erwachsenenbildung mit migrierten und geflüchteten Frauen* tätig, die am wenigsten über Privilegien verfügen. In das kollektiv wird seit 2015 die Bildungsarbeit von maiz fortgeführt.

Annita Kalpaka, Prof. i. R. an der HAW Hamburg, in den 1980er- und 1990er-Jahren aktivistisch tätig in antirassistischen und migrantisch-feministischen Frauenbewegungen und bei dem Aufbau gemeinwesenorientierter Stadtteilzentren und Antidiskriminierungsbüros in Hamburg. Zu ihren Schwerpunkten gehören u. a. Migrations- und Rassismusforschung, Rassismustheorien, Subjekttheorien, Lerntheorien vom Subjektstandpunkt, politische Bildungsarbeit, subjektbezogene Konzepte der Erwachsenenbildung.

Bei WUNDERLAND begeben sich die apokalyptischen tänzerin*nen gemeinsam mit der feministischen Influencerin Alice auf einen musikalischen, performativen Roadtrip. Im folgenden beantwortet das Kollektiv einige Fragen zum Stück.

Mit diesem Stück geht die Zusammenarbeit des Kollektivs mit Mugetha Gachago (*2009) in die dritte Runde. In diesem ersten Stück des Stuttgarter Autors steht der Ort Wunderland im Mittelpunkt. Dort ist nichts, wie es scheint und vieles ver-rückt. Ver-rückt ist hier ganz wörtlich gemeint – etwas aus dem Zentrum verschoben, nicht ganz zentriert. Gemeinsam mit der Komponistin Sara Glojnarić entwickelt Gachago eine, das Bühnengeschehen begleitende, unterwandernde, überschreibende, Symphonie des Alltags.

Was können die Zuschauer*innen vom Stück erwarten – eine moderne Alice-im-Wunderland-Geschichte?

Es steckt natürlich viel mehr dahinter. Für WUNDERLAND leiht sich der Autor Mugetha Gachago Figuren und Teile der Handlung des Weltbestsellers „Alice im Wunderland“. Er überschreibt diese Vorlage mit neuen Assoziationen, reichert sie an, um auf der Schablone etwas über das Erleben der Realität zu erzählen. Gachagos Text stellt binäre Moralvorstellungen in Frage. Gut und Böse werden ad absurdum geführt und in ihrer Antiquiertheit entlarvt.

 Woher stammt die Idee für dieses Stück?

Das ist unsere dritte Zusammenarbeit mit Mugetha Gachago und die erste bei der er als alleiniger Autor auftritt. Zurück geht diese Aufteilung auf ein Gespräch nach following mo, einem subjektiven Stadtspaziergang durch Stuttgart, bei dem sich Mugetha Gachago als Autor zu erkennen gab. Wir, die apokalyptischen tänzerin*nen hatten bis dahin noch nie mit einer externen Autorin*nen Position zusammengearbeitet und diese Erfahrung reizte uns. Gachago traf die Wahl, „Alice im Wunderland“ zu bearbeiten und entschied sich aber von vornherein für WUNDERLAND als Titel, um zumindest subtil zu erkennen zu geben, dass es sich um eine Bearbeitung handelt.

Wie kam die Zusammenarbeit mit Mugetha Gachago zustande?

Wir haben uns im Rahmen eines Kostümworkshops kennengelernt. Für unser Projekt forever apocalyptic (2018), haben wir Kinder eingeladen, Kostüme von ausgestorbenen Tieren für uns zu designen. Mugetha Gachago hat die Vorgabe sich als Art Director zu sehen direkt verstanden und entsprechend Aufgaben sehr gut delegiert. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und so kam es dann zu dem Projekt following mo.

In der Stückbeschreibung heißt es, WUNDERLAND sei aus dem Zentrum verschoben und nicht ganz zentriert. Was ist damit gemeint?

Einer der ersten rahmengebenden Sätze, die Mugetha Gachago mit uns geteilt hat zu Wunderland war: „Nichts ist, wie es scheint.“ Damit ist gemeint, dass nichts eins zu eins unseren Erwartungen entspricht, gut ist mindestens genauso viel böse, und manche Dinge stehen einfach Kopf, zumindest im Verhältnis zu unserer Realität – denn in Wunderland ist Autofahren etwas richtig Gutes.

Welchen Sinn hat die Blume des Lebens im Stück, die hier Gegenstand der Suche ist.

Von der Blume des Lebens ist das ganze Leben Wunderlands abhängig. Dementsprechend gibt es ein übersteigertes Interesse an ihr. Die Suche nach ihr treibt die Geschichte voran. Gleichzeitig führt sie ein ausschweifendes Eigenleben, ist Mutter und hält den Burger-Rekord.

Für welche Zielgruppe ist WUNDERLAND?

Die Anfangszeiten sind sehr unterschiedlich, weil wir ein möglichst breit aufgestelltes Publikum ansprechen wollen. Die Altersempfehlung ist ab 10 Jahren, aber das Stück ist nicht explizit oder ausschließlich für Kinder. Außerdem gibt es am 4. Dezember vor der Vorstellung eine Bühnenbegehung/Touchführung und einen Artist Talk für blindes und sehbehindertes Publikum.

Foto: Dominique Brewing

In Koproduktion mit FREISCHWIMMEN – eine Plattform für Performance und Theater von brut Wien, FFT Düsseldorf, Gessnerallee Zürich, HochX München, LOFFT – DAS THEATER Leipzig, Schwankhalle Bremen, Sophiensæle Berlin und Theater Rampe Stuttgart. In Kooperation mit dem Theater Rampe und dem Theaterhaus Stuttgart.

Freischwimmen

Skizzen aus dem Protokoll der Veranstaltung IF YOU GOT IT, GIVE IT: Prozessbegleiterin Handan Kaymak im Gespräch mit 360-Grad-Agentin Leyla Ercan

Handan Kaymak: Lass uns über Ausschreibungsprozesse sprechen, wie können solche auf mehr Teilhabe ausgerichtet werden? Und warum ist das überhaupt wichtig?

Leyla Ercan: Es gibt in ganz Deutschland sehr spezifisches künstlerisches Personal, welches traditionell aus einem eng begrenzten Milieu kommt. Dieses bringt sehr viel Kapital mit, wurden schon früh kulturell etc. sozialisiert. Dieses Personal gestaltet ein sehr spezifisches Programm, sehr bildungsbürgerlich durch einen elit. Kunst und Kulturbereich. Zieht bestimmtes Publikum an, diese ziehen weiteres an. Teufelskreis des Theaters. Das Publikum ist wahnsinnig homogen und hat sehr spezifischen Habitus, 5-7% der Ges. sind dieses Publikum. Dort hat sich nichts verändert, seit Jahrzehnten.  Personal hat damit viel zu tun: Who you hire is who you become.

In den höchsten Posten muss sich etwas ändern, damit sich Intendanz-zentrierte Einrichtungen weiterentwickeln können. Intendanzen müssen aufgrund ihrer Entscheidungsgewalt gut ausgewählt werden. Es wird immer mehr gefordert, das können wenige Menschen erfüllen: Management, künstlerisches Denken, Personalführung, Kulturpolitik, P&Ö… Infrage stellen: welche Kompetenzen werden erwartet und welche sind tatsächlich grundlegend. Stärker abfragen, welche davon vorhanden sind.

Stellschrauben hierfür wären, Leitungsmodelle überdenken: Teamleitung… Intendanzuntypische Lebensläufe und Karrieren, Diversitätskompetenzen sind Zukunftskompetenzen! Weg von symbolpol. Ansätzen, wirtschaftl. Motivierten Ansätzen, deswegen: Strukturwissen abfragen!

Andenken für weiteren Theater Rampe Prozess: Kriterien Checkliste entwerfen und sie dann auf Kandidaten* auswerten, Modell für frühes on-Boarding, diskriminierungsbewusste Gestaltung des Prozesses.

Fragen aus dem Publikum:

Gast: Wo veröffentlicht man solche Ausschreibungen? Damit sie mehr Menschen erreichen, wenn man keine großen Verteiler hat.

Handan Kaymak: Nur dort verteilen, wo es Interesse und Schutzraum für diversere Intendanzen und Mitarbeitenden etc. gibt. Nicht nur vorn herum veröffentlichen, sondern sich die Zeit nehmen, Leute einzuführen und Codes so formulieren, dass sie BIPoC etc. ansprechen – dann werden mehr darauf aufmerksam, weil sie den unterschwelligen Ton hören.

Leyla Ercan: Auch Quereinsteiger* einladen und dann das Commitment haben, dabei zu bleiben und dieses Interesse zu halten: Entscheidungsträger müssen festlegen, ob sie viel Erfahrung und eine kurze Übergangszeit möchten, oder auch diverse Menschen aufnehmen und ihnen den Raum geben, zu lernen.

Gast: Die Institutionen, die sich in diese Prozesse begeben, sind oft sehr weiß, das kann für Bipoc hart sein. Wie kann es gelingen, dass diese nicht zu „Token“ werden?

Handan Kaymak: Bipoc-Person hat oft „zusätzlichen Job“ aufgrund ihrer Erfahrung mit Marginalisierung. Radikaler Entscheidungsschritt muss sein: wir schaffen erst einen Schutzraum, dann holen wir jemanden. Es gibt keine strengen Konzepte dazu, sondern etwas muss im Voraus erarbeitet werden, um zu funktionieren. Man übernimmt eine Verantwortung, einen Arbeitsplatz ohne Diskriminierung zu bieten.

Leyla Ercan: Quoten helfen dabei, Minderheiten nicht auf ihre Minderheitsmerkmale zu reduzieren, sondern sie als kompetente Mitarbeiter* zu sehen. Unterrepräsentanz vermeiden.

  • You are between 8 and 11 years old?
  • You speak English fluently?
  • And you would like to act in a play?

Then we’re looking for you!

You will be part of the performance TWO ADULTS AND A CHILD at Theater Rampe in Stuttgart, in which two adults and one child play on stage. The play is about the relationship between children and adults and how children see the adult world. You don’t need any previous stage experience to participate. The only important thing is that you are curious and want to get a taste of theatre.

More information for you (and your parents):

The special thing about the piece is that every show invites three new performers who are unrehearsed. The piece is created anew every evening.

That’s how it works:

  • We invite you to Theater Rampe to get to know you personally.
  • You will also receive a short introduction by phone or online with the director Ant Hampton who will tell you all about the play.
  • You will perform on one of the following dates: October 28 – 30. Or November 5 + 6, each at 8 pm. The show lasts about an hour.

The performance takes place at Theater Rampe, Filderstr. 47, 70180 Stuttgart.

Please find further information on our website:
theaterrampe.de/stuecke/two-adults-and-a-child

If you are interested, please contact Siri Thiermann by Tuesday, 12.10.2021: thiermann@theaterrampe.de, Tel. 0711 62 00 909 22

Kinder für Theaterstück gesucht!

  • Du bist zwischen 8 und 11 Jahre alt
  • sprichst fließend Englisch
  • und hast Lust, mal auf der Bühne zu stehen?

Dann suchen wir genau Dich!

Und zwar für die Performance TWO ADULTS AND A CHILD im Theater Rampe in Stuttgart, bei dem zwei Erwachsene und ein Kind mitspielen. Im Stück geht es um die Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen und darum, wie Kinder die Erwachsenenwelt sehen. Um mitzumachen brauchst Du keine Vorerfahrung. Wichtig ist nur, dass Du neugierig bist und Lust hast, Theaterluft zu schnuppern.

Weitere Infos für Dich (und Deine Eltern):

Das Besondere am Stück ist, dass jede Vorstellung von anderen Darsteller*innen gespielt wird und dass das Stück jeden Abend neu ohne Proben entsteht.

Der Ablauf                                

  • Wir laden Dich einmal ins Theater Rampe ein, um Dich persönlich kennenzulernen.
  • Außerdem erhältst Du telefonisch oder online eine kleine Einführung mit dem Regisseur des Stücks, Ant Hampton, der Dir alles über das Stück erzählt.  
  • Du trittst an einem der folgenden Vorstellungstagen auf: 28.10., 29.10., 30.10., 5.11. oder 6.11.2021, jeweils um 20 Uhr. Das Stück dauert ca. eine Stunde.

Die Vorstellungen finden statt im Theater Rampe, Filderstr. 47, 70180 Stuttgart.
Weitere Infos zum Stück gibt es auf unserer Website:
theaterrampe.de/stuecke/two-adults-and-a-child

Wenn Du Interesse hast, melde Dich bis Dienstag, 12.10.2021 bei Siri Thiermann:
thiermann@theaterrampe.de, Tel. 0711 62 00 909 22

Wir freuen uns auf Dich!
Dein Theater Rampe

Wir gehen bald.

Was wollen wir hinterlassen?

Was kommt dann?

Bleibt alles beim Alten?

Oder was sortiert sich neu?
Wer sortiert was neu?

Der Leitungswechsel am Theater Rampe 2023 steht an. Aus zwei rassismuskritischen Workshops in den vergangenen 15 Monaten entstand der Wunsch des Rampe-Teams nach einer langfristigen Auseinandersetzung mit Machtstrukturen, Rassismus, Klassismus und generellen Öffnungsprozessen.

Das betrifft auch die Frage nach Leitungsmodellen (und den vorausgegangenen Entscheidungsprozessen). Wir haben uns entschieden, den anstehenden Leitungswechsel als offenen, transparenten Modellprozess zu gestalten, um gemeinsam zu lernen, Wissen zu generieren und dieses auch weiterzugeben. Ein Beitrag zur Debatte. Ein Experiment zur gesellschaftlichen Veränderung.

Gemeinsam mit der Prozessbegleiterin Handan Kaymak arbeiten wir seit April 2021 für die verbleibenden zwei Jahre an den genannten Themen. Zu Beginn geht es darum, ein grundsätzliches Verständnis dafür zu bekommen, dass wir alle Teil eines Systems sind, das auf Ausschluss aufgebaut ist, und alles dafür tut, sich selbst zu erhalten und zu reproduzieren.

Wir, das ist die Arbeitsgruppe „Rampe23“, bestehend aus drei Personen aus dem Rampe-Team: Anna Bakinovskaia, Paula Kohlmann und Kathrin Stärk. Unsere Erfahrungen aus dem Prozess teilen wir mit unseren Kolleg:innen und der Theaterleitung. Darüber hinaus wollen wir die Öffentlichkeit einladen und einbinden, Teil dieser Veränderung zu werden.

Öffnung passiert nicht aus neutralen Räumen heraus. Es geht uns darum, Neues auszuprobieren, gesellschaftliche Ungleichheiten hervorzuheben und Fragen zu Machtverteilung und Verhältnissen im Team und im eigenen Umfeld zu spiegeln. Die Gesellschaft wird zu dem, was wir leben und ruft Projektionen hervor. Die Frage der Verteilung von Macht und Strukturen in Verwaltungsabläufen wird sichtbar. Welche Rolle übernehme ich? Welche Privilegien bin ich bereit zu teilen, unter welchen Voraussetzungen?  

Von 21.-23. Oktober 2021 planen wir eine erste dreitägige Veranstaltung unter dem Titel „If you got it, give it“ mit öffentlichen Beratungen, Diskussionen, Workshops und mehr. Gemeinsam mit Publikum, Expert:innen und Gästen aus der Stadt diskutieren wir alternative Leitungsmodelle, gerechte Arbeitsstrukturen, sowie Teilhabe und Machtstrukturen in Kulturinstitutionen.

Wir wollen dafür Verantwortung übernehmen, dass andere sie bekommen.

Dies erfolgt bewusst offen und transparent, um Menschen zu ermutigen und zu aktivieren, Theaterleitung und Strukturen neu zu denken – und sich mit ihren Ideen und Konzepten zu bewerben. Welche Unterstützung brauchen bisher strukturell benachteiligte Personen und Gruppen, um sich perspektivisch auf eine neu ausgerichtete Ausschreibung bewerben zu können? Und natürlich die spannende Frage: Wann haben wir unsere Verantwortung erfüllt? 

Wir freuen uns über Resonanz, Rückmeldung, Fragen.

Schreibt uns!

Als Gründungsmitglieder:innen der Stadt der Frauen* in Esslingen (Theater Rampe, 2018) sind Paula Kohlmann, Sabrina Schray und die Matriarchale Volksküche seit 2019 im Gespräch mit dem Team des Atelierhauses „Condominio Cultural“ in São Paolo über die Idee einer Gründung der Cidade de mulheres* in São Paolo.

Die Pläne, das feministische Festival fortzuführen und als Plattform in Brasilien weiterzudenken, wurden durch die Covid19-Pandemie unterbrochen. Der Austausch und damit die Vorbereitungen für eine Cidade das mulheres* wurden Ende 2020 kurzerhand ins Virtuelle verlegt und sollen als Grundlage für einen realen Austausch 2022 dienen.

Zum Auftakt trifft das Condô Cultural auf die Matriarchale Volksküche, eine Künstler:innen-Gruppe aus Stuttgart. Gemeinsam skypen und filmten sie sich bei einer transatlantischen Kochsession zwischen São Paulo und Stuttgart inmitten der Pandemie. In einer Zeit, in der gemeinsames Essen selten und riskant geworden ist, bringen sich die beiden Kollektive gegenseitig ein traditionelles Gericht aus der jeweiligen Region bei. Auf dem Speiseplan: brasilianische Pamonha und deutsche Kartoffelpuffer. Während viele köstliche Texturen von dampfenden Pasten in die Kamera gehalten werden, tauschen die Köch:innen Wissen, Klatsch und Rituale rund ums Essen aus und lernen, sich an die unterschiedlichen Verfügbarkeiten von Zutaten und Werkzeugen anzupassen und zu improvisieren.

Video und Rezepte Pamonha und Kartoffelpuffer mit Apfelmus: https://condo.org.br/en/city-of-women/

Das Condôminio Cultural – ein Gemeinschaftszentrum und Atelierhaus in der ehemaligen Favela Vila Anglo Brasileira in São Paulo arbeitet seit mehreren Jahren in einem mehrheitlich femininen Zusammenschluss von Künstler:innen an einer gemeinschaftlichen Überlebensstrategie aber auch zusammen mit der Nachbarschaft, die sich als Drogenumschlagplatz von Gewalt bedroht sieht. Angesichts der globalen Krise, die durch die Pandemie ausgelöst wurde, startete das Condô im März 2020 eine Reihe von Nothilfemaßnahmen aus Solidarität mit den Nachbar:innen und Communities, die für Aktionen von Regierung und größeren Organisationen unerreichbar sind, wie z. B. Obdachlose und indigene Communities. 

Die Matriarchale Volksküche wurde im Rahmen der Stadt der Frauen in Esslingen von Surja Ahmed, Sabrina Schray, Kristina Fritz, Marcela Majchrzak und Jessica Lipp gegründet. Seit 2018 realisieren sie verschiedene Küchen-, Dinner- und Diskurs-Situationen, in denen die Gäste beim gemeinsamen Kochen und Essen diskutieren über die ökonomischen, sozialen und politischen Dimensionen von Lebensmittelverteilung, Essenszubereitung und unsichtbarer Care-Arbeit.

Danke für die finanzielle Unterstützung an das ifa (Institut für Auslandsbeziehungen).

Im November feierte STRESS – EIN SINNLICHES SPEKTAKEL noch im Theatersaal Premiere. Pandemiebedingt hat sich das fluide Kollektiv entschieden, die Bühnen-Performance in eine Video-Fail-Compilation zu verwandeln, die ab Dienstag fünf Tage lang zu sehen sein wird. Einen Vorgeschmack gibt dieser Arbeitsbericht:

„STRESS – Der Bildschirmschoner“ hat schon als Format schizophrene Tendenzen. In seiner Schonungslogik ist es einmal Löschwasser für die an Online-Events wundgeschauten Netzhäute, – denn Inhalt sucht man hier vergeblich – andererseits auch Quälerei für die empathischen Seelchen, die die Home-Office-Hölle von behind-the-screen kennen. STRESS ist Stress: Vorhölle mit endlosen Zoom-Meetings bei schlechtem W-Lan, Selbstdarstellungsdruck, neurotischen Kompensationshandlungen, Isolationswahn und dem finalen Hohl-Drehen des gesamten Geschäfts-/Lebens-/Gesellschafts-/Welt-Models.

Irgendwo hatten wir Ende 2019 in den ersten Gedanken zu STRESS einmal notiert, dass die Performance dem Blick in eine Petrischale gleichen soll, wo Bakterien zirkulieren und die Transparenz des gelierten Trägermediums langsam zukeimt. Damals war Covid noch Science-Fiction und Home-Office noch eine großzügige Geste. Die metaphorische Petrischale, durch die nicht nur Bakterien, sondern auch deren Lebensmilieus – sieben Performer*innen – zirkulierten, war in der live gespielte Bühnenversion das abstrahierte Setting eines funktionalen Micro-Appartements.

Dieses von uns obsessiv adaptierte Wohnmodell der Zukunft für Young-Professionals vereint leben, arbeiten, stoffwechseln, Yoga machen, connecten, Druck ausgleichen und kreativ sein auf nur 26 Quadratmetern. Was irgendwann Mal unter dem Titel „Privatsphäre“ als Refugium vom Business galt, wird zum Dampfkessel, in dem die Work-Live-Performance den Druck erhöht bis sich auch die stabilsten Verbindungen verbiegen.

Taubheit, Ticks und Aggressionen sind die Früchte dieser sich täglich wiederholenden Mikrodramen, die meist hinter ausgeschalteten Bildschirmkameras stattfinden, während im Vordergrund an der Stabilisierung einer Ordnung, global oder persönlich, gearbeitet wird. STRESS ist einfach die Umkehrung dieses Blicks: es lassen sich nur noch windige Ursachen, Ziele und Motivationen für die emotionalen Landschaften der performten Psychosomatik finden; es bleiben alle allein und eine größere Apparatur, die das Zerfleddern legitimieren oder fordern würde, stets unsichtbar.

STRESS ist deshalb mehr Atmosphäre oder eine Collage freigestellter Affekte als Inhalt; ein Bildschirmschoner eben wie die ikonische Microsoft-Wiese unter dem perfekt bewolkten Himmel, nur mit Menschen und schon ist es messy.

Die Übersetzung in Film fügt dem das hinzu, was im Petrischalenkontext das Mikroskop leistet, sie zoomt ran und aus dem Zirkulieren der Performer*innen durch den Bühnenraum ist Mitte 2021, – sicher auch gefüttert durch die pandemische Erfahrung – ein Reigen der gestressten Oberflächen und zerstäubenden Persönlichkeiten geworden.„STRESS – Der Bildschirmschoner“ rückt dem Schweiß, den Tränen und den Zuckungen der Young-and-Old-Professionals im Selbstoptimierungsparcour noch näher, löst die übriggebliebenen erfassbaren Zusammenhänge zwischen Hintergrund und Vordergrund und fordert auf zu einem letzten Tanz.

Fun Fact: In der performativen Durchführung war STRESS überraschend unstressig, Stress performen kennen und können offensichtlich alle. Wenn es darum geht, abzuliefern, dass man so richtig gestresst ist, ist das vielleicht fast wie Therapie. Keine*r der Performer*innen ist ausgebildete*r Schauspier*in, aber selten haben wir uns so professionell gefühlt wie beim Konzipieren und Perfektionieren der individuellen Stresszustände von Heulkrampf bis zur Weltflucht.

STRESS – DER BILDSCHIRMSCHONER ist ab Dienstag, 22. Juni, um 20:00 on demand zu sehen. Tickets und mehr gibt es hier.

Für das Festival 6 TAGE FREI 2021 war eine sechsköpfige Gruppe für die vierwöchige Arbeitsresidenz am Theater Rampe ausgewählt worden – ermöglicht durch das Festival und TANZPAKT Stuttgart. Laura Albrecht, Astrid Bischofberger, Lydia Eller, Miriam Lemdjadi, Rica Lata Matthes und Angela Siebold arbeiteten an der Rampe an ihrer Performance UNSICHT BAR, die Lebensrealitäten zwischen Mutterschaft und künstlerischer Tätigkeit sichtbar machen und neue Strategien entwickeln will.

Zwei Tänzerinnen, eine Theaterschaffende, eine Sängerin, eine Historikerin und eine Filmemacherin öffnen den Raum für das Unsichtbare und arbeitet mit Parallelwelten und Projektionen. Hier berichten sie, wie sie die Zusammenarbeit in der Residenz erlebt haben:

„Aus großer Verzweiflung heraus als freischaffende Künstlerin und Mutter während des ersten Lockdowns mit zwei Kindern zu Hause, keinerlei Zeit und Energie mehr zu haben, der beruflichen Tätigkeit nachzukommen, abgeschnitten von der Außenwelt, wurde die Idee der UnsichtBar geboren.

Diesen Zustand der Unfreiheit, der Bewältigung alltäglicher Routinen, Bedürfnisse stillen zu müssen und eigene zu unterdrücken und gleichzeitig die berufliche Existenz und künstlerische Schaffenskraft nicht zu verlieren, einmal sichtbar zu machen, mit anderen Künstlerinnen und Müttern zu teilen und neue Strategien zu entwickeln, Gestaltungsmöglichkeiten auszuprobieren und die Arbeit neu erfinden, war und ist ein großer Antrieb dieses Projektes. Die Idee zündete bei allen Beteiligten sofort und entfachte ein Feuerwerk an Ideen. Wertschätzung und Solidarität prägten von Anfang an den Prozess.

Dieser begann natürlich über Zoom, in ganz Baden-Württemberg verteilt saßen wir vor unseren Bildschirmen und bald kannten wir Kinder und Partner, fieberten mit bei Schwangerschaft und Geburt, bedauerten ausfallende Projekte und Vorstellungen und bereiteten die Residenz vor. Stillen, nicht erscheinen, später kommen oder sich früher verabschieden, all das war von Anfang an nicht nur geduldet, sondern gefordert; Arbeiten, so wie es für uns geht, das was möglich ist, ohne Druck und schlechtes Gewissen, die Grenzen akzeptieren, war unser Mantra, an welches wir uns gegenseitig erinnern mussten, zu tief saß die Gewohnheit, das Unmögliche möglich machen zu wollen.

Diese Atmosphäre führte dazu, dass alle das Projekt mit Enthusiasmus und Leidenschaft trugen, füreinander sorgten und das Ganze zusammen hielten, jede übernahm Verantwortung und die Kreativität und der Einfallsreichtum waren nicht zu bremsen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit verstärkte dies, da eine solche Neugierde und gegenseitige Inspiration vorherrschte und dass ohne dass sich alle vorher kannten oder je gesehen hatten.“

„Zu Beginn der Projektplanung konnte ich aufgrund meiner ‚frischen‘ Mutterschaft und aufgrund eines anderen Projektes, das zeitgleich stattfand, noch nicht einschätzen, inwieweit ich während der Residenz dabei sein kann. Während der Zoomtreffen merkte ich aber mehr und mehr, wie wichtig mir das Projekt wurde und wie ich von Mal zu Mal mehr dazulernte, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Als Künstlerin im Austausch mit den anderen Künstlerinnen zum Teil aus anderen Disziplinen. Als Frau, die auf der Suche ist nach einer für sie passenden Art und Weise ihr Frausein zu leben. Und als werdende Mutter, die sich die Herausforderungen des Zusammentreffens von Familie und Arbeit als Künstlerin zwar vorstellen kann und doch einfach noch nicht am eigenen Leibe kennengelernt hat. Nach manchen Treffen war ich bestärkt, weil diese anderen Künstler*innen/Mütter/Frauen mir gezeigt haben, dass es möglich ist, weil sie so mutig voranschreiten und ermutigend und empowernd mir gegenüber sind. Nach manchen Treffen war ich aber auch ängstlich bezüglich dessen, was alles noch auf mich zukommen würde. Als ich dann bei der Residenz mit meinem 3 Monate alten Sohn in Stuttgart war, da spürte ich die innere Zerrissenheit, obwohl jede Akzeptanz von allen Seiten da war. Der Wunsch sowohl für meinen Sohn als auch für meine Leidenschaft als Künstlerin da zu sein, stellte mich vor viele Herausforderungen. So dankbar war ich, als die anderen Künstlerinnen mir meinen Sohn abnahmen, mit ihm interagierten und lachten, sodass ich besser mitarbeiten konnte. So dankbar war ich, dass mir keine einen Vorwurf machte, weil ich mit dem Kopf nie zu 100% dabei war. Niemand beschwerte sich, dass ich nur so ‚wenig‘ Zeit während der Residenz hatte. Ich durfte und darf trotzdem dabei sein. Und vor allem will ich dadurch um so dringender dabei sein. 

Die anderen Künstler*innen stärken mir den Rücken, wenn ich dafür einstehen muss, dass ich Mutter und Künstlerin sein will. Ich habe in den Gesprächen so viel über die strukturellen Nachteile für (arbeitende) Mütter gelernt und werde weiter kämpfen um die Bedingungen für uns Mütter zu verbessern.“

„Montag: das Telefon klingelt – Miriam fragt nach einem Spontaneinsatz am Wochenende – Videografin mit Burnout, Ersatz gesucht. Ich schaue in den Kalender: voll. Samstag wäre aber machbar. Dafür fällt der Onlinespielenachmittag mit den Neffen/Nichten aus oder muss kürzer treten. Die anderen Künstlerinnen sind super nett und ich fühle mich sofort wohl – ich als einzige (Noch-)Nichtmutter. Die Performance hinterlässt Eindruck. Bringt mich trotz aller Spontanität zum langfristigen Nachdenken. Nachdenken über meine eigene Familienplanung. Muttersein und Kunst und Theater… wie geht das zusammen?“

„…Hier handelt es sich wohl um das erste Projekt, welches meine Kinder in positiver wohlgesinnter Erinnerung behalten. „Wir kommen auf jeden Fall wieder nach Stuttgart“ und gleichsam nicken sie mit den Köpfen, wenn ich Ihnen berichte, dass ich dann auch wieder 1 Woche mit Übernachtung dort proben werde.

Es waren nur 2 Tage mit Kindern vor Ort, aber da sie in der Residenzwohnung und im Theater eine bejahende Atmosphäre vorfanden, ein Ja zum Kind einer Tänzerin, sind sie so lustvoll damit verknüpft. Und natürlich sind wir mit der Zahnradbahn gefahren, haben Eis gegessen und auf dem Marienplatz in der Sonne gesessen, aber genauso selbstverständlich ließen sie sich für das Projekt interviewen oder zuckelten mit den Öffentlichen durch die Stadt, um noch fehlende Requisiten zu besorgen. Das alles gab ihnen einen tiefen Eindruck in den Ort, wo ihre Mutter tagelang abwesend ihre Probearbeiten absolvierte und absolvieren wird.

Das Ja zu meiner Mutter entspannte mich enorm, zumal ich keine Energie aufwenden musste, um den Faktor zu vertuschen oder im Falle zu bagatellisieren. Umso mehr war ich frei in meiner Arbeit am Stück und der Offenheit meiner Kolleginnen gegenüber. Keine zweifelte an, dass jede alle zur Verfügung stehende Energie in das Performance-Projekt geben wird und Keine ihre Kinder vorzuschieben versucht, um den Unannehmlichkeiten zu entkommen. Ich habe tatsächlich noch nie ein Projekt erlebt, welches so verständnisvoll und gleichsam hoch motiviert an der Kunst ein Kunstwerk zusammen erschaffen hat. Das direkt vor Ort sein, das Bett beinahe im Probenraum und doch so getrennt voneinander das private und berufliche zu erleben war enorm gewinnbringend. Morgens meine Kollegin Miriam aus dem Bett schlüpfen zu sehen und dann später mit ihr, nach einem ruhig angegangenen Frühstück, uns in voller Ekstase die Improvisationen, Proben der Choreografien, Entwicklung der Ideen und Vertiefung des Erforschten zu erleben, begeisterte mich absolut.

Die Unterschiedlichkeit der Künste vervollständigte unsere künstlerische Dimensionalität. Nach einem ausgiebigen Tanz- Warm-Up glitten wir in Lydias Gesangsübungen, um uns dann in Miriams Schauspiel-Training wiederzufinden. Ich war vollkommen überrascht, was da aus meiner Stimme herausgekitzelt wurde. Ich achtete diese Frauen, welche so frei und kreativ sich ins Volle stürzten, gerade für diesen Kontrast, gerade noch gestillt oder ihre Kinder versorgt zu haben. Und gerade diese Kraft und Bescheidenheit in den Umständen der eventuellen Müdigkeit oder dem Probenbedarf, weil etwas noch nicht ganz so lief, wie eine selbst wollte, sah ich von der Kraft der Mutter kommen.

Ein Genuss war es ebenso unsere Wissenschaftlerin Angela, die ich gefühlt schon kenne, jedoch nie mit ihr in einem realen Raum war, nur in Zoom-Meetings kenne. Zu erleben, wie tiefgründig und ernsthaft, jedoch mit Humor sie diese Forschungsreise mit uns antrat und zu Ende brachte. Ihre Art zu denken und die Dinge in aller Gründlichkeit zu hinterfragen und zu erforschen gingen für mich noch einmal eine Stufe weiter, was und wie ich es bis hier erlebt hatte. Ich habe eine so vertrauensvolle Gesamtstimmung in unserem Team erlebt, was ich gerade im reinen Frauenkreise als sehr energetisierend und unterstützend empfand. Auch unsere jüngste Mutter im Projekt ließ mich staunen und mich an damalige Zeiten erinnern, wie an zwei so wichtigen und wertvollen Orten Kunst und Mutter gegeben und aber auch gefordert wird. Jede einzelne hat für mich in diesem Projekt einen enorm hohen Anspruch an sich selbst gezeigt, welches einen echten Push bedeutete. Die Lust, zusammen in neue Bereiche zu gehen, hat das Projekt für mich sehr kompetent und tiefgreifend gestaltet.“

„Dass die eigentliche Residenz begann, vor Ort, und wir aus Freiburg, Karlsruhe und Heidelberg zusammenkamen, trotz Pandemie und manchmal mit Kindern, mal ohne, mal zu dritt, mal zu zweit vor Ort, die anderen aber immer im Prozess über Telefon, über Zoom – zu wissen, dass es bei allen arbeitete und es mit uns allen etwas machte, wir uns bis heute nie alle auf einmal live gesehen haben und wir uns und unseren Familien trotzdem vertraut sind, das habe ich zuvor noch nie erlebt. Die drei Wochen der Residenz waren so intensiv, emotional und voller Freude an der gemeinsamen Arbeit. Unsere Arbeitshaltung führte dazu, stets zu hinterfragen wie es so gehen kann, dass es uns eben nicht zerreißt, wir aber trotzdem alle brennenden Dinge ausprobierten, offen und herausfordernd zugleich – das war faszinierend. An Tagen mit Kindern wurde nichts erzwungen, vor allem nicht das Arbeiten in einem für Kinder wenig einladenden Raum, was die meisten Theater mehr oder weniger sind. Wir sammelten Material und veranstalteten Arbeitstreffen auf dem Spielplatz oder ‚zuhause‘ in der Künstler*innenwohnung, welche gleich zum Wohlfühlort für uns wurde, wo Arbeit und Kinder zusammen liefen und tolle Interviews und Audiomaterial entstanden sind.“

„Die Residenz im Lockdown – in der Vorbereitungszeit zu 6 TAGE FREI haben wir gelernt, zu improvisieren, immer nur kurzfristig zu planen und alle Möglichkeiten offen zu halten. Das sind Fähigkeiten, die wir mit Beruf und Kindern ohnehin schon lange einüben (mussten). Durch die sich aufgrund der Pandemie ständig ändernden Rahmenbedingungen waren wir nun noch mehr in unserem Improvisationstalent gefragt – und das in einem sechsköpfigen Team, in dem jede von uns ganz nebenher noch Familie, andere Jobs, pandemische und persönliche Herausforderungen bewältigen musste.

Dennoch, und das ist, das, was mich am meisten beeindruckt hat, ist es uns gelungen, aus der UNSICHT BAR ein wahrhaftig gemeinschaftliches Projekt zu machen. Und ein persönliches – und das, obwohl wir uns bisher teilweise nur digital kennen. Die UNSICHT BAR ist gewachsen, nicht, obwohl wir all diese zusätzlichen Herausforderungen unter einen Hut bringen mussten, sondern weil: Weil wir alle in dieser Lage waren und sind, ist die UNSICHT BAR zu unserem gemeinsamen Hut geworden. Und sie hat Freude gemacht und war produktiver, als so manche andere berufliche Herausforderung, in der man alleine unter dem Druck einer scheinbaren Trennung von Privatem und Arbeit, unter dem ständigen Schein einer professionellen Ausschließlichkeit zu arbeiten versucht. Unser Credo war von Beginn an: Nicht so tun, als ob, sondern zeigen, wie es ist. Die Arbeit in der Residenz hat mir deutlich gemacht, dass Arbeit mehr sein kann, als sich entscheiden zu müssen. In der UNSICHT BAR war ich nicht nur eine Arbeitskraft. Ich war Wissenschaftlerin und Mutter, Ehefrau, Tochter, Freundin und ich hatte zugleich nicht das ständige Gefühl, eine dieser Rollen für die andere zu vernachlässigen. Wir haben uns gegenseitig ernst genommen und respektiert und das hat unsere Arbeit nicht eingeschränkt, sondern verbessert. Diese Art der Arbeit hat meinen drei kleinen Kindern, meinem Mann und mir gut getan – es hat aber auch meine und unser aller Arbeit authentischer, aussagekräftiger und besser gemacht.

Bei mir bleibt hängen: Wenn man die Strukturen schafft und wenn sich alle darauf einlassen, dann kann aus einer Zusammenarbeit ein Zusammenhalt werden, von dem alle profitieren.“

„Das Projekt hat viel mit mir gemacht, Themen aufgewühlt. Ein Theaterprojekt mit zwei kleinen Kindern (0 und 2 Jahre alt), in einer anderen Stadt, zu Corona-Zeiten, ein Stück entwickeln und eine neue Arbeitsweise ausprobieren/ausloten? Auf das hätte ich mich nie eingelassen, wenn ich nicht Vertrauen in Miriam gehabt hätte. Miriam war meine allererste Gesangsschülerin und schon damals unbeirrbar, kreativ, unzähmbar und extrem empathisch. Also wagte ich es und war schon nach dem ersten Treffen via Zoom inspiriert und beeindruckt von unserer Gruppe. 

Viele bis dahin unbewusste Entscheidungen wurden im Verlauf des Projektes aufgewühlt, hinterfragt, unterfüttert. Immer wieder öffnete sich ein Fenster aus meiner kleinen (sehr schönen, wenn auch superanstrengenden) Welt. 

Die Residenzzeit selbst war logistisch extrem herausfordernd. Nur zu stemmen durch meinen Mann und meine Schwiegermutter, die mir selbstverständlich den Rücken freigehalten haben, die mein Künstlerinnensein nie in Frage stellen. 

Der Konflikt in mir selbst blieb, aber ich wuchs- an mir, an uns. Wir (Mütterkünstlerinnen) bestärken uns, glauben an uns, achten uns, inspirieren uns. Das ergab und ergibt eine Energie, die alles mehr als kompensiert und kleinlich erscheinen lässt, was uns vielleicht objektiv schwächt. 

Selten habe ich mich so mit einer Sache, einem Stück identifiziert- selten so viele Diskussionen ausgelöst. Ich bin sehr dankbar für den Mut – unseren, den des Festivals und des Theaters. Jetzt freue mich auf ein mutiges Publikum.“