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SortiertEuch!_190615-(25)_web

Umbau zur Gruppe JUNGFRAUEN. Foto: Florian Krauß.

Seit gestern sind Monster Truck mit der Aktion SORTIERT EUCH! auf dem Schlossplatz. Hier einige Reaktionen, mehrheitlich aus der Recherchephase. Nutzt die Kommentarfunktion und sagt uns, was ihr von der Aktion haltet …


E-Mail vom 20.06.15:
Habt ihr eine Vorstellung davon, welchen Gefahren sich Eritreer aussetzen,wenn sie sich öffentlich ausstellen  und dann von den Häschern der eriteischen Regierung dingfest gemacht werden? Um dann Opfer von Erpressung oder Schlimmerem zu werden?
Ich finde die Aktion, auch in Bezug auf andere Gruppen, sehr bedenklich.

Grüße von XXXXX aus Stuttgart


E-Mail-Verkehr endend am 12.06.15:
Hallo Frau Rahimi,

danke für dir schnelle Antwort. Das Thema „gieriger Grieche“ ist ein europäisches, wenn überhaupt ein Bundesthema. Aber weder ein Landes und schon gar nicht ein Thema für Stuttgart!!!

Entschuldigen Sie die vielen Ausrufezeichen aber wer auch immer uns hier in die Opferrolle stecken will macht uns Griechen KEINEN Gefallen! Im Gegenteil wir schaffen ein Problem, dass nicht existiert.

Wieviel Prozent der Stuttgarter Bevölkerung ist der gleichen Meinung wie die Bild Zeitung?
Diese Gruppe ist dann vielleicht eine Randgruppe…

Man kann gerne über die schlechte Presseleistung der Bild anhand dem Beispiel Griechenland sprechen, aber man kann die Griechen in Stuttgart in keine Opferrolle stellen und es zu einem Stuttgarter Thema machen.

Ich wiederhole mich, dass was Sie denken bezwecken zu wollen schaffen Sie im Gegenteil; und wenn ich nicht für die sogenannten anderen „Randgruppen“ sprechen kann – auch denen machen Sie keinen Gefallen.

Siehe Bsp. Muslime, oder von welcher Pegida sprechen wir in Stuttgart?

Ich weiß Ihr Engagement und Ihre Intension zu schätzen, verstehen Sie mich in DIESEM Punkt NICHT falsch, aber Sie begehen einen Fehler, das Thema so aufzuziehen!

Eine gute Nacht wünsche ich, mit freundlichen Grüßen
XXXXX XXXXX

Von: Sortiert Euch! [mailto:kontakt@sortierteuch.de]
Gesendet: Freitag, 12. Juni 2015 00:44
An: xxxxx xxxxx
Betreff: Re: Ich bin Grieche…

Sehr geehrter Herr xxxxx,
danke für ihre kritische Mail! Tatsächlich gibt es keine Gemeinsamkeit zu den genannten Gruppen. Die Gruppen sind aus sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten gewählt. Sie stehen alle in der gesellschaftlichen Diskussion, sind diskriminiert, tabuisiert oder stehen unter Beschuss. Die Griechen haben wir deshalb gewählt, weil wir in der Rezeption der Medienberichterstattung und im Gespräch mit Ihren Landsmännern und Landsfrauen immer wieder die Erfahrung gemacht haben, dass es seit der Finanzkrise einen anderen Umgang mit Ihnen gibt, dass sie zu Sündenböcken einer komplexen Finanzmarktpolitik gemacht werden;
dazu könnte man sich zum Bespiel die Berichterstattung der Bild Zeitung ansehen:
http://www.bild.de/politik/inland/griechenland-krise/keine-weiteren-milliarden-fuer-die-gierigen-griechen-39925224.bild.html

Wir wissen sehr gut, dass die Griechen eine gut integrierte Gruppe in Stuttgart sind.
Wir glauben gleichzeitig, dass die rassistisch zu nennende Bezeichnung der „gierigen Griechen“ und die entsprechende Stimmung, die sich in diesem Ausdruck kondensiert, in Frage gestellt werden muss.
Die Aktion SORTIERT EUCH! und die Rhetorik der website sind tatsächlich als provokative Gesten gedacht, um eine rege Diskussion in Stuttgart und darüber hinaus anzuregen.
Sehr gerne stehen wir für ein persönliche Diskussion mit Ihnen zu diesem Thema zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,
Sahar Rahimi
i.A. Monster Truck

Am 11.06.2015 um 21:07 schrieb xxxxx xxxxx:

… und ich fühle mich durch Ihre Aktion beleidigt!

Wer behauptet wir wären in Stuttgart unterrepräsentiert?

Wer hat uns mit Pädophilen, Depressiven, Arbeitslosen in eine Schublade gesteckt? Wo ist der Kontext und wo ist die Gemeinsamkeit?

Die Griechen sind einer der größten Gruppen in Stuttgart, wir sind vollstens im Stuttgarter Leben integriert, und alles andere als unterrepräsentiert.

Auch wenn ich anfangs von einer guten Idee ausging, muss ich bei näherer Betrachtung meinen Unmut äußern!

xxxxx xxxxx


E-Mail vom 06.06.15:
Liebe Frau Kiel,
zwar kann ich mir nicht vorstellen, daß irgendjemand Lust hat, sich auf einer Tribüne als Zugehöriger der Gruppe Übergewichtige zu präsentieren (die meisten Leute sind ja gerade am Abnehmen, da sie diesen Zustand ändern wollen), aber Flyer können Sie auslegen.
Ich werde die Aktion nicht bewerben, da ich denke, daß sich manche dadurch vorgeführt fühlen würden, schließlich ist das Gewicht für die meisten ein heikles Thema.
Bei ausliegenden Flyern habe ich jedoch keine Bedenken, die können Sie ab 16.00 Uhr vorbeibringen.
Mit freundlichen Grüßen,
XXXXX XXXXX


E-Mail vom 20.05.15:
Hallo Herr König,

wie soll sich eine politische Gruppe die gesellschaftliche Strukturen aufzeigt und kritisiert mit dem jeglichen Hinsetzen auf einer Tribüne, das Stuttgarter Stadtbild repräsentieren?
Ich bin sehr erstaunt über ihre Anfrage und halte sie für nicht durchdacht.

Durch eine jegliches hinsetzen auf einer Tribüne auf einem „populären Platz“ in Stuttgart hat ihr Projekt für mich einen „zur Schaustellungscharakter“, einen exotisierenden Blick von marginalisierten Gruppen für eine weißes Publikum! Was soll das bewirken, verändern ? Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht ?
Reproduzieren Sie nicht wieder einen weißen Blick auf gesellschaftliche Strukturen ?

Vielleicht macht es Sinn darüber mit einer reflektierten Person, die sich mit Rassismus beschäftigt oder noch besser mit einer Person, die von Rassismus betroffen ist zu sprechen um sich die Dimensionen der Darstellung bewusst zu werden !

Beste Grüße,
XXXXX XXXXX


E-Mail vom 20.05.15:
Sehr geehrter Herr König,

vielen Dank für Ihre Mail. Ich habe über Ihr Projekt gründlich nachgedacht und habe mich entschieden, nicht mitmachen zu wollen. Das „Ausgestellt sein“  stelle ich mir als eine unangenehme Situation vor, zumal ich sehr wenig von der Reaktion der Passanten mitbekommen werde. Viel besser finde ich es, in einem Gespräch über die Situation und die Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Menschen zu informieren. Bei Ihrem Projekt kommt den „Ausgestellten“ eigentlich eine passive Rolle zu.
Vielleicht beurteilen  andere Mitglieder der Bezirksgruppe Stuttgart des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Württemberg  Ihr Projekt anders. Deshalb werde ich Ihre Mail an die Mitglieder weiterleiten, soweit mir deren Mailadressen  bekannt sind.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Projekt.

Mit freundlichen Grüßen
XXXXX XXXXX

Da trifft man sich also mit einem Historiker und zwei Künstlerinnen in Stuttgart, um ins Museum zu gehen. Nicht nur, aber währen draußen alles nachgebaut ist, der Stuttgarter Stadtkern eine Reproduktion, findet die Begegnung mit dem Artefakt im geschlossenen Raum des Museums statt. Und was bedeutet das nun, dem Steinklotz von 500 v Chr. gegenüber zu stehen? Die Begegnung mit dem Artefakt.

Die Aura stellt sich bei uns nicht so wirklich ein. Selbst Sonnabend sagt erst: ja, klar ist das beeindruckend, und dann: nö, er sei da eher pragmatisch. Uns geht es ähnlich. Dabei versucht das Museum alles um die Objekte aufzuladen: schummriges Licht, Punktstrahler, die die Objekte aus der Nacht der Vergangenheit herausheben, an unser Auge führen, sie glühen wie von einer Aura (Wortspiel!) umgeben. Überhaupt ist alles dunkel, geheimnisvoll glimmend hier. Ist nicht die Metapher für das wissenschaftliche Museum das Licht der Aufklärung? Wie wurde eigentlich aus dem Panoptikum des Erleuchtens und der Erkenntnis eine Kammer des Geheimnisvollen.

Das Museum, so wäre meine These, muss, um den Verlust des Auratischen auszugleichen, die Objekte aus dem Licht der wissenschaftlichen Rationalität zurück in den Dämmerzustand des Mythos stürzen. Das Mythische verleiht ihnen dann die Aura zurück, die ihnen die Wissenschaft entrissen hat. Ein museales Paradoxon.

Sonnabend scheint den Objekten eh zu misstrauen. Die keltischen Grabbeilagen erzählen eigentlich gar nichts, sagt er, zumindest nichts eindeutiges, weil die Kelten keine Schrift hinterlassen haben. Also hat man Schmuck, aber was fängt man damit an. Anders die römischen Inschriften. Die Römer schrieben überall hin, entsprechend kann man alles gebrauchen. Alles spricht im römischen Reich. Aber man muss es eben lesen können.

Die Geschichtswissenschaft ist eine exegetische Wissenschaft. Aber die Exegese funktioniert auf eine besondere, immer gleiche Weise. Denn das Lesen der Zeichen ist immer ein Einbetten dieser, und damit der Objekte, in einem historischen Zusammenhang. Die historische Exegese macht überhaupt nur Sinn, wenn man das Vorher und Nachher bestimmt. D.h., auch wenn sich die Geschichtswissenschaft von der Idee der Universalgeschichte verabschiedet, und auch wenn man eine Teleologie ablehnt, so hält sie doch an der Idee der ewigen Gliederkette (Schiller)  fest. Es geht, scheint mir, letztlich immer um Einordnungen, und damit um Narration.

Dazu gehört auch das Schema von Aktion und Reaktion, Ursache und Wirkung. Nietzsche hat genau diese Logik angegriffen und gesagt, dass wir nur die Wirkungen kennen und von ihnen auf Ursachen schließen, also Ursachen konstruieren. Wer nur die Wirkung betrachtet, kann die Ursache ja gar nicht beobachten, da sie davor, also jenseits unserer Aufmerksamkeit liegt. Wir wissen nicht vorher, dass eine Wirkung eintreten wird, so dass wir die Ursache beobachten könnten, die dann zu der Wirkung führt. Für Nietzsche ist „Ursache und Wirkung“ ein Sprachspiel, eine semantische Wahrheit aber keine materielle.

Ist also die Geschichtswissenschaft heute gar nicht so weit weg vom Fortschritts- und Geschichtsbild des 19. Jhh.? Was wäre mit einer Geschichtswissenschaft, die eine solche Einbettung verneint, die sich streng dem historischen Objekt widmet und versucht, aus ihm heraus seine Identität zu bestimmen? Eine postmoderne, nietzscheianische Geschichtswissenschaft.

Das wäre die römische Methode, die Lebensdaten anzugeben: nämlich nur die Lebensdauer, und nicht die Position auf dem Zeitstrahl!

Das könnte man sich aber auch im Theater abgucken. Denn das Theater behauptet ja emphatisch diesen einen Moment (diese Dauer), und die Figuren haben ihr Leben eben nur auf der Bühne und nur in dieser Zeit. Natürlich behauptet das psychologisch-bürgerliche Drama immer, dass die Figuren eine imaginierte Biografie, also Vor-Geschichte haben, und die Antike Tragödie handelt ja ausschließlich von Figuren und Ereignissen, die im Bewusstsein des Publikums fest historisch eingeordnet sind.

Aber ist das wirklich so? Besteht der Reiz des Theaters nicht gerade in der Negierung dieser Narration? Ist das nicht die Pointe? Und was ist eigentlich die Nachgeschichte? Klar es gibt offene Enden, nicht nur in der Dramatik, auch nicht zu Ende geführte Bewegungen und Klänge. Aber heißt das, dass sie Folgen haben? Wohl kaum.

Es könnte ja auch eine historische Utopie sein: Handeln ohne Folge!

JP