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Archiv des Autors: kuhlerampefsj

Kathrin Röggla im Interview über das Betrachten und Aushandeln als demokratisches Grundmoment

Worum geht es im Kern in Ihrem Stück?

Im Stück geht es gar nicht so sehr um den realen, historischen NSU-Prozess, sondern um die Perspektive der Gerichtsöffentlichkeit, die nicht unmittelbar beteiligt ist, um die Erwartungen, die Hoffnungen, also die Beurteilung des Prozesses von außen durch diejenigen, die nicht direkt verwickelt waren. Die direkt Betroffenen fragten sich natürlich auch: Warum musste mein Vater, mein Bruder, mein Sohn sterben? Wie kam es dazu, dass das nicht verhindert wurde? Und alle stellen die letztlich ganz konkrete Frage: Wie kann es sein, dass diese Terroristen 13 Jahre lang mordend und bombend durch Deutschland ziehen konnten, unentdeckt? Ja, wo leben wir denn eigentlich? – Was kann das Gericht also in so einem Fall ausrichten? Was erwarten wir, dass es ausrichten solle?

Warum ist das Gericht in der Öffentlichkeit so wichtig geworden als Ort der Wahrheitsfindung?

Zunächst einmal sagt diese Hoffnung aus, dass es ein Versagen aller anderer aufklärerischen Instanzen ist – ob in der polizeilichen Ermittlung oder in der Berichterstattung – das ein Misstrauen gegenüber den Medien und den Behörden geschürt hat und dadurch letztlich auch gegenüber dem politischen Prozess. Das Gericht gilt vielen noch als letzter neutraler Ort, der vermeintlich über den Dingen steht. Und durch seine Autonomiebestrebung auch als nicht in ideologische Kämpfe verwickelt, die die Gesellschaft derzeit spalten.

Was war die Grundmotivation für dieses Stück?

Zum einen der konkrete Gerichtsbesuch. Ich war in den letzten beiden Gerichtsjahren zahlreiche Male dort und war doch sehr erstaunt über die soziale Situation und das Procedere dort, selbst für gerichtserfahrene Personen war das schon eigentümlich. Das gibt es ja nicht oft, fünf Jahre Strafprozess, der partout kein politischer Prozess sein möchte mit diesen gewaltigen Hindernissen. Darüber hinaus interessiert mich das Gericht als gesellschaftlicher Ort. Das Juristische als Herrschaftstechnik wie als politischer Hebel. Seine Behauptung als autonom ist demokratietechnisch sehr spannend.

Inwiefern?

Weil es uns erzählt, dass wir eine Sehnsucht nach Neutralität entwickelt haben, nach einer Instanz, die vermeintlich über den Dingen steht. Das Gericht gibt sich als unpolitisch, und ist das historisch gesehen auch relativ, aber keine demokratische Instanz kann sich ganz frei vom Politischen machen. Gerade bei einem Prozess, der sich mit rechtsextremem Terror auseinandersetzt, wirkt dieser Versuch mehr als bizarr.

Wie hat es sich in den Anfängen und wie seit damals entwickelt?

Ich habe im Umfeld des Prozesses mit einigen Menschen gesprochen, die direkt verwickelt waren in den Prozess und mit zahlreichen, die das beobachtet haben, oder für die Untersuchungs-ausschüsse gearbeitet haben, auch mit Medienvertreter*innen. Ich habe sehr sehr viel dazu gelesen, weil es ein unglaublich rechercheintensives Projekt war. Aber so etwas darf den Theaterabend dann ja nicht ersticken. Dass man vor lauter Details nicht mehr weiß, worum es eigentlich geht. Es war insofern ein ständiges Hineintauchen in das durchaus sehr komplexe Geschehen und wieder Abstand nehmen, auf der Suche nach einem eigenen Punkt. Was hat das mit mir zu tun? Warum fasziniert mich das? Wo schockiert es mich? Wer bin ich, die ich darüber schockiert sein kann? Ganz konkret habe ich den ersten Entwurf 2019 bis Anfang 2020 geschrieben und es dann, als die Pandemie seine Uraufführung verhinderte, liegen gelassen. Vielleicht war das gar nicht so schlecht. Denn als ich es im Herbst 2021 wieder in die Hand nahm, hat sich nicht nur gesellschaftlich einiges verändert, ich hatte auch einen anderen Abstand zum Prozessgeschehen und habe noch viel daran gearbeitet. Mir wurde klar, dass es hier mehr um einen Kampf um demokratische Werte geht, als ich 2019 noch angenommen hätte.

Ensemble | Foto: Martin Kaufhold

»Verfahren« ist bei aller kritischen Betrachtung des betreffenden Strafprozesses unbedingt als Plädoyer auf Rechtsstaatlichkeit zu lesen. Können Sie das noch etwas weiter ausführen?

Wir leben in einer Zeit, in der Rechtsstaatlichkeit sehr angezweifelt wird, und gerade deswegen hielt ich es für eminent wichtig, sehr deutlich zu machen, dass sie aber die Basis der Demokratie darstellt, und ich mich nicht auf die Seite derer stellen möchte, die da leichthin diese wichtige Errungenschaft in Frage stellen. Dass die Verfahren hier nicht sehr weit reichen konnten, darf man den Verfahren nicht alleine anlasten, sondern sollte sich vielleicht um Alternativen der Aufarbeitung kümmern, oder sich an die Behörden wenden, die direkt Mist gebaut haben. Dennoch muss Kritik auch am Prozess möglich sein, auch aus Laien perspektive, denn das Gericht hat nicht umsonst eine Gerichtsöffentlichkeit. Es gibt da keine einfachen Antworten.

Ihre Gerichtsöffentlichkeit hat daher auch nicht nur eine Stimme.

Ja, die Multiperspektive ist ja eine ureigenste Theaterangelegenheit. Wo es Figuren gibt, gibt es verschiedene Perspektiven. Bei der gerichtlichen Aufarbeitung der Verbrechen des NSU ist es natürlich klar, dass das Prozessgeschehen spalten muss, weil es den Erwartungen durch die Art des Verfahrens nicht gerecht werden konnte. Zuviel wurde versäumt in dem ganzen Ermittlungsvorgang, der ja schon viel früher ansetzt als der Prozess. Das war ja ein 13-jähriges Leben im Untergrund. Die Versäumnisse erzählen uns sehr genau, wo Bruchstellen in unserer Gesellschaft sind: Institutioneller Rassismus, ungenügende Zusammenarbeit der Behörden, Verwicklung der Behörden durch die Art der Arbeit, zu unklare Durchsetzung demokratischer Standards, kein Schutz der wirklich Schutzbedürftigen. Da könnte jede Figur eine andere Geschichte erzählen. Insofern muss es die Multiperspektive hier geben. Die richtet sich natürlich auch in die Zukunft. Was erhoffen wir, und mit wem sprechen wir eigentlich, wenn wir Kollektiv sagen? Das ist derzeit sehr unterschiedlich.

Ensemble | Foto: Martin Kaufhold

Inwiefern hat die Pandemie sich auf den Stoff ausgewirkt – mit welcher Gesellschaft haben wir es verglichen mit damals und bezogen auf den »Verfahren«-Stoff heute zu tun?

Das Erschütternde ist, dass gesellschaftliche Spaltung so drastisch vorangeschritten ist. Rechtsextremismus konnte sich normalisieren, ihre Vertreter*innen marschieren Seite an Seite mit Kritiker*innen der Coronapolitik der Regierung. Es herrscht doch einiges mehr an Misstrauen gegenüber den gewählten Politiker*innen und insofern gegenüber dem »System«, was auch immer damit im konkreten Fall gemeint ist, und somit eine pauschalisierende, antisemitisch konnotierte Vorwurfshaltung. Es wird nicht mehr genau hingesehen, sondern immer »die Medien« oder »die Politik« verurteilt und dann mit drohendem Vokabular versehen – hate mails gehören ja heute zur Tagesordnung. Aber Gottseidank, und das muss man auch sagen, geht es noch nicht in eine reale Mehrheit oder eine wirklich relevante gesellschaftliche Größe hinein, es ist eine Minderheit, die sehr laut aufzutreten versteht. Aber das ist gefährlich, weil die den medialen Diskurs vor sich hertreibt und auch sprachlich den Diskurs verändert.

Welchen Umgang mit Ihrem Stück wünschen Sie sich?

Es ist ein Stück, das Balance benötigt. Nicht nur zwischen den Positionen, sondern auch zwischen ästhetischen Mittel. Mut zur Länge wäre hier angebracht. Es ist ein Stück, dass es auch mit dem Nachdenken über das Publikum aufnimmt: Wer sind wir hier als Zuschauer*innen? Es wäre schön, wenn die Komik zum Vorschein käme, die auch darin liegt. Denn ohne sie sind wir verloren.

Das Interview führte Bettina Schuster-Gäb.

In einem Zeitraum von zwei bis vier Monaten betreiben 20 Künstler:innen seit Januar künstlerische, ergebnisoffene Forschung in Recherchen, Laboren oder Konzeptentwicklungen. Unter den Personen in Residenz sind diesmal auch Absolvent:innen künstlerischer Studiengänge. Der Fonds Darstellende Künste setzt im Rahmen von NEUSTART KULTUR das Förder-Modul für Künstler:innen fort, die im Netzwerk Freier Theater organisiert sind. Hier ein Überblick der Künstler:innen und ihrer Arbeiten:

Gruppe CIS – Die Gruppe – Das holistische Nest

1.1. -28.2.

Studien zum Gruppenverhalten bei Orkas zeigen, dass das Selbstbewusstsein des Einzelnen auf alle Individuen innerhalb einer Gruppe verteilt ist. Wie entsteht so ein Gruppenbewusstsein? Welche Strukturen produzieren welche Formen der Zugehörigkeit? Wie organisiert sich eine Gruppe immer wieder neu, um sich zu erhalten? Zur Sichtbarmachung von Gruppenprozessen hat sich im Laufe der Recherche Wasser als interessanter Ausgangsstoff herauskristallisiert. Ähnlich wie Wasser durchlaufen auch Gruppen unterschiedliche „soziale“ Aggregatzustände von flüssigen, festen oder gasförmigen Dynamiken. Gruppe CIS sucht nach diesen Verhältnissen zwischen Raum, Körper und Erzählungen, die eine Gruppe Mal fluide strömen, Mal chaotisch verdampfen oder kalt erstarren lassen. Um daraus performative Strategien zu entwickeln, agiert Gruppe CIS diese Zustände einerseits spontan improvisiert, andererseits entlang eines Regelwerks ritualisiert aus.

Alexander Sowa – Der Rote Süden

1.1. – 28.2.

Alexander Sowa erforscht die Geschichte des Stuttgarter Südens als Arbeiter:innen-Viertel und Zentrum kommunistischer Widerstandskämpfer:innen. Für diesen Teil der Geschichte ist die Stadt unbekannt, denn heute sind diese Spuren fast verschwunden. Um dem Vergessen der Akteur:innen und ihres wichtiges Einsatzes entgegenzuwirken, gilt es ihre Geschichten herauszufinden und nachzuzeichnen.

Justyna Koeke – Power of Flowers

15.1. – 15.3.

Justyna Koeke erforscht die Verwendung von Blumen für Kostüme. Die Auswirkung des Zusammenspiels von Körper und Bewegung auf die Blumen, der Prozess der Veränderung im Verblühen steht dabei im Fokus. Die Vanitas-Symbolik der verwelkenden Blumen soll Ausgangspunkt für eine feministische Forschung zu einer Auseinandersetzung mit dem alternden weiblichen Körper sein.

Magda Agudelo – Pusteblume Löwenzahn

1.2. – 31.3.

Was hat dazu geführt, dass manche Pflanzen, die besondere kurative und nahrhafte Eigenschaften haben, heutzutage nur als Unkraut wahrnehmen werden? Welche gesellschaftlichen Änderungen und Gewohnheiten führten dazu? „Pusteblume Löwenzahn“ skizziert performative Ideen über lokale Pflanzen und setzt sich dabei mit Gegensätzen und Ergänzungen vom akademischen und volkstümlichen Wissen auseinander.

Das Theater Rampe kann 20 Künstler:innen aus seinem Umfeld diese #TAKEHEARTRESIDENZ ermöglichen und begleiten.

Robert Atzlinger – Auf dem Kompost erfindet sich der Kürbis neu

1.3. – 30.4.

Die Pflanzenpopulation von Kleingärten soll erfasst werden, um Landkarten zu erstellen, die die Exemplare verorten sowie ihre Herkunft und Migration aufzeigen. Wie begegnen sich heimische und eingewanderte Exemplare? In die Gartengrundrisse fließen Erzählungen der Gartennutzer:innen ein: Die Vorgeschichten der Pflanzenexemplare, der persönliche Bezug, und die jeweilige Gartenphilosophie.

Anna Gohmert – Gescheite(rte) Familienplanung 

1.3. – 30.4.

„Gescheite(rte) Familienplanung“ ergründet, wann und warum von einer erfüllten oder unerfüllten Familienplanung gesprochen wird. Was wird kommuniziert und was wird verdrängt, runtergeschluckt, kaschiert oder gedeckelt? Sie widmet sich dem verwendeten Vokabular, wie und von wem die Familienplanung rezipiert wird.

Rafael Ossami Saidy – Bin Laden, mein Vater und ich (AT)           

1.3. – 30.4.

Ausgehend vom 11. September 2001 befragt Absolvent Rafael Ossami Saidy den deutschen Migrationsdiskurs. Schwerpunkt ist die Parallelität des „Kampfes gegen den Terror“ und die gleichzeitige Herausbildung des „Menschen mit Migrationshintergrund“, der nicht mehr „Ausländer:in“, aber auch noch nicht Deutsche:r zu sein scheint. Es entsteht ein multimediales und intertextuelles Panorama.

Jonas Bolle Handlungs(un)fähigkeit

 1.4. – 30.07.

Jonas Bolle setzt sich mit dem Paradox auseinander, wie Handlungsansätze in Situationen der Ohnmacht aussehen könnten. Wie kann eine offene und diskriminierungssensible Arbeitsweise als die genuine Arbeitskultur an Theatern etabliert werden, die Freiheit in der künstlerischen Praxis überhaupt erst ermöglicht?

Yolanda Gutierrez – Erinnerungsort Theater

1.4. – 31.05.

Der Erinnerungsort Theater – es befasst sich mit der Erinnerung, die wir an das Theater haben, wenn es nicht mehr da ist. Vorübergehend erfuhren wir als Gesellschaft während des Pandemie-Lockdowns, was es heißt, ohne Theater zu leben. Als Ort der Sehnsüchte und Erlebnisse wurde es vermisst. Was bleibt von dieser Erinnerung? Und was bedeutet Theater für unseren Alltag?

Klemens Hegen (Absolvent*in) – APOLOGETIC                                                        

1.4 – 31.07.2022

Absolvent Klemens Hegen untersucht Entschuldigungen von Cis-männlichen Personen und deren Bezug zu Männlichkeitskonstruktion und Feminismus anhand von persönlichen Reflexionen, Interviews und Literaturrecherche. Im Zentrum stehen Fragen nach den Elementen sorgsam und verantwortungsvoll formulierter Entschuldigungen, die zur positiven Transformation von Männlichkeitsbildern beitragen könnten.

Fender Schrade – Abschiedmusik

1.4. – 31.5.

Klang ist eine Tür zur Transformation. Mittels des 392, einem Musikinstrument und einer Technologie, um Künstler:innen verschiedener Genres gemeinsam sichtbar und hörbar zu machen, sollen Rituale des kollektiven Abschiednehmens erforscht werden. Dazu werden Performancenachlässe, aber auch zeitgenössische Spielorte und Arbeitsmittel sonisch untersucht; mit dem Ziel, Abschied als kreativen Teil eines Erneuerungsprozesses zu begreifen.

Lajos Talamonti – Wegen Tod vorübergehend geöffnet

 1.5. – 30.06.

„Wegen Tod vorübergehend geöffnet“ wird das Verhältnis der Affluent Society mit dem Tod erforschen, der gesellschaftlichen Dimension des Sterbens als verdrängter lebensbegleitender Aufgabe. Das Sterben deckt den Fehler im Betriebssystem Moderne auf: die Erwartung der Vermeidbarkeit macht das Sterben inakzeptabel. In der Hochburg der Arbeitsethik Stuttgart wird Loslassen und Vergessen geübt.

Kathrin Krumbein – TROSTN

1.7. – 31.08.

Wo soll ich die Tränen denn hin tun in dieser Stadt? Die Recherche legt die dramaturgische Grundlage im Hinblick auf neue Riten in bezug auf Abschied und Heilung, Entlastungs- und Troststrategien im öffentlichen Raum und begibt sich auf die Suche nach den Dehnungsfugen in der Struktur der Stadtgesellschaft, die den Prozess der Resilienz begünstigen.

Herbordt/Mohren Sprechstunde – eine künstlerische Sprechstunde

1.3. – 30.4.

Die künstlerische Recherche begibt sich in das Spannungsfeld praktischer Institutionenkritik und Kunstritual. Strategien des Teilens von Ressourcen, Wissen und Gegenwart sollen hier verflochten werden mit den Reflexionen um ein institutionelles Vermächtnis. Wie sind biografische Entscheidungen mit denen von Institutionen verbunden? Wovon berichten sich Institutionen, Nachbar:innenschaft, Kunst und Einzelpersonen? Wer analysiert? Wer wird analysiert? Was bleibt?

Julian Carly (Absolvent*in) – Aufarbeitung kollektiver Traumata einer Kindheit vorm Fernseher    

1.5. – 30.6.

Julian Mahid Carly untersucht alte TV-Formate seiner Kindheit und interessiert sich dabei für Details, Sehgewohnheiten und Anomalien, die ihn und sein künstlerisches Schaffen prägen. Als Fan, angehender Laiendarsteller, Drehbuchautor und Wutanfallhaber dekonstruiert er Bewegtbilder einer vergangenen Zeit um herauszufinden, wie man mit ihren toxischen Altlasten szenisch produktiv umgehen kann.

Amanda Lasker-Berlin (Absolvent*in) – Im Müden und im Stillen gelingen Heldinnen am besten auf Papier

1.5 – 30.6.

„Wer hat dafür gekämpft, dass ich lesen und schreiben lernen durfte, wer dafür, dass ich wählen kann, wer dafür, dass ich studieren durfte? Wer waren die Frauen, die für mich gekämpft haben und die ich nicht verehre, weil ich nie von ihren gehört habe?“, fragt Amanda Lasker-Berlin und macht sich auf die Suche nach verblassten Spuren, um daraus Altäre und Luftschlösser zu bauen  

Andreas Vogel – Wechselwirkungen von Theater und Livepräsentation von Pop- und Rockmusik

1.6. – 31.7.

In Gesprächen mit diversen Kulturschaffenden aus Theater und Live-Popmusik will Andreas Vogel der Frage nachgehen, wie die unterschiedlichen Perspektiven auf die jeweils andere Kunstform sind und für was sie stehen. Es soll ein Archiv aus Interviews und Filmbeispielen entstehen, das die Differenzen und Übereinstimmungen von Theaterinszenierungen und Pop-Events ab- bzw. herausbildet.

#takeheart

Gemeinsam mit der Prozessbegleiterin Handan Kaymak arbeitet die Rampe seit April 2021 für die verbleibenden zwei Jahre bis zum Leitungswechsel an Themen wie Machtstrukturen, Rassismus, Klassismus und generellen Öffnungsprozessen. Wir, die Arbeitsgruppe „Rampe23“, bestehend aus Anna Bakinovskaia, Paula Kohlmann und Kathrin Stärk, wollen unsere Erfahrungen aus dem Prozess in diesem Blogbeitrag mit euch teilen. 

Seit einem Dreivierteljahr beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage, wie konsequente Öffnung eines Theaters unserer Größe gelingen kann. Wir tun dies am Beispiel des Ausschreibungs- und Findungsprozesses der neuen Leitung 2023. In den vergangenen Monaten haben wir erfahren, wie die Arbeit an diesem Projekt direkt in unser alltägliches Tun am Theater einfließt. 

Jeden Monat treffen wir uns als Arbeitsgruppe für eine ca. fünfstündige Sitzung mit Prozessbegleiterin Handan Kaymak. In diesen Sessions lernen wir, welche festgefahrenen Denkmuster wir in unseren Überlegungen immer noch verankert haben und wie wir täglich daran arbeiten und üben müssen, andere Perspektiven miteinzubeziehen.

Gleichzeitig sind diese Treffen ein geschützter Raum, in dem wir unsere eigenen Unsicherheiten, Erfahrungen, Wahrnehmungen und offenen Fragen teilen können. Denn eine Frage schwingt immer mit: Was haben allgemeine Gerechtigkeitsthemen mit unserem Umgang untereinander zu tun? Natürlich verändern sich durch solche Reflektionen auch gewisse Abläufe im Team. Einiges hat sich seither schon verändert, zum Beispiel fallen uns zunehmend eigene Verhaltensmuster oder unserer Kolleg*innen auf. Wir merken auch, dass wir bestimmte Erwartungen, die an den Öffnungsprozess gerichtet werden, nicht erfüllen können.

Was am offensichtlichsten ist: Die Auswirkungen dieses Prozesses sind erstmal eine Irritation, eine Störung. Denn es kommt jemand von außen dazu und sagt: Wieso laufen diese Dinge so-und-so? Wer hat das festgelegt, wer darf das entscheiden? Schaut hier nochmal genauer hin. Und das versuchen wir. Wie schwierig, anstrengend, zäh, mühsam und frustrierend das manchmal sein kann, hätten wir uns zu Beginn nicht vorstellen können.

Wir sind ein kleines Team von 14 Personen, die allesamt –  zwar auch kurz skeptisch – aber dann offen und bereit für diesen Prozess waren und sind.

Der Versuch, Dinge zu verändern, bedeutet ein ständiges Ankämpfen gegen ein System, das sich mit aller Kraft selbst zu erhalten versucht – in Form von ungeschriebenen Regeln, von Gewohnheiten, von Argumenten wie „Das war bisher immer so”, die fest in uns allen verankert sind. Es raubt Kapazitäten, sich diesen Denkmustern zu stellen und andere Dinge bleiben liegen. Diese Arbeit beansprucht viel Zeit. Wieviel Zeit? Zu viel Zeit?

Zum Prozess gehört auch, dass wir immer wieder die Erwartung enttäuschen müssen, dass nach so vielen Monaten nun endlich die richtigen Maßnahmen aufgesetzt und umgesetzt werden können. Damit sich WIRKLICH etwas ändert. Damit etwas sichtbar wird. Es ist nur so: Die Veränderung hat längst begonnen. In unseren Köpfen. Das ist nicht immer sofort erkennbar, zumindest nicht für Kultureinrichtungen, die sich als politisch begreifen und die es gewohnt sind, Ergebnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren. Botschaften zu teilen, die sich in Ausstellungstiteln manifestieren, auf Bannern gedruckt an die Fassade gehängt oder in einer Publikation verewigt werden. Institutionen, die ihre kritische Haltung auf der Bühne in Glitzerschrift oder auf Podiumsdiskussionen gut eingebettet in den aktuellen Diskurs verkünden.

All das ist gut, aber es lenkt ab von der eigentlichen Veränderung, die nötig ist:

Welche Diskussionen dazu hinter den Kulissen stattfinden, wird oft nicht öffentlich besprochen, weil diese Geschichten von Unsicherheit, Verletzbarkeit und Scheitern erzählen. Sich Zeit zu nehmen für solche Reflektionen ist schwierig, denn das Arbeitspensum in Kultureinrichtungen ist überall hoch. Auch wir schaffen es noch nicht, unseren Kolleg*innen regelmäßig von unseren Lernprozessen zu berichten, sie einzubinden und mitzunehmen.

Wie kann Transparenz passieren? Wie können wir unsere Erfahrungen unseren Kolleg*innen näher bringen? Dafür nötig sind Zeit, Aufmerksamkeit und Verantwortung. Was wir versuchen zu teilen: Unser Auf-der-Suche-sein, immer wieder neu justieren, neu hinterfragen. Und immer wieder erinnern: Es gibt keine Checkliste, wir können nicht wissen, was wir alles lernen müssen. Nur immer wieder erkennen, was wir noch nicht wissen.

Dies haben wir auch bei der Veranstaltung “IF YOU GOT IT, GIVE IT – öffentliche Beratungen und Diskussionen zum Leitungswechsel” getan. Zusammen mit unserem Kolleg*innen und externen Gästen, die Inputs zu Themen wie unsichtbarer Barrieren, Rassismen und neuen Leitungsmodellen gegeben haben. Viel Publikum war da, aus Stuttgart, aber auch von außerhalb: uns bisher unbekannte Kolleg*innen aus Kultureinrichtungen, in denen auch Leitungswechsel stattfinden, die sich ähnliche Fragen stellen. Dieses Interesse, der Austausch und die Diskussionen, das Feedback und die offenen Fragen haben uns als Theater Rampe bestätigt, wie wichtig es ist, im Prozess um Veränderung dranzubleiben.

Hier findet ihr die Protokolle von “IF YOU GOT IT, GIVE IT – öffentliche Beratungen und Diskussionen zum Leitungswechsel”:

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Nach einem langen Recherchesommer durch niedersächsische Fleischgefilde entstand im Rahmen der FREISCHWIMMEN-Residenz am Theater Rampe die konkrete Vision und Dramaturgie für unsere interaktive Fest-Aufführung FLEISCH. Aus unzähligen Stunden Audiomaterial von Gesprächen mit Schweinebauern, Fleischarbeiter*innen, Zukunftsforschenden oder Grillmeistern sammelten wir unsere Perlen und zentralen Fragestellungen zusammen um sie auf der Probebühne auszubreiten und aus ihnen schlau zu werden. 

“Fleischfragen sind Beziehungsfragen!” / War Prometheus eigentlich der erste Grillmeister, als er den Menschen das Feuer brachte? / Klee ist das neue Beef des starken Mannes! / “Es ist das Schicksal des Menschen, das er von getöteten Seelen lebt.” 

Bei einem Teamausflug ins Fleischermuseum in Böblingen spielten wir leider kein Wurstaufschnitt-Memory, sprachen dafür aber viel mit Museumsleiter Christian Baudisch, zum Beispiel über den Humor, den es braucht, um verschiedene Meinungen zu einem polarisierenden Thema wie FLEISCH zu versammeln; im weltgrößten Schweinemuseum wühlten wir uns durch mehrere Etagen Schweinewelten, um danach Käsespätzle im ehemaligen Schlachthof zu essen, an einem sinnlichen Grill-Nachmittag versuchten wir uns selbst im Wursten, kochten vegane Blutsuppe, übten einen Schlacht-Fest-Kanon und entwickelten Strategien für den Umgang mit den Interview-Audios. Zwei intensive und produktive FLEISCH-Wochen sind zu Ende, danke an das Theater Rampe und bis bald! 

Das Fleischermuseum in Böblingen

This piece (which will premier at Theater Rampe on October 28, 2021), like a lot of work being shown at the moment, was written for the most part during the pandemic, which in my case at times lent the research and writing a kind of hallucinatory dérive. The fictional premise is built upon a big patchwork of thoughts and quotes, stitched together more than anything by the spirit of one of Marguerite Duras’ last novels, Summer Rain (excerpts below in bold). 

– Ant Hampton – September 2021

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Cest très…. très difficile à exprimer, Monsieur, je mexcuse…  ce que je peux dire cest que nous sommes des enfants dune façon générale, vous voyez.

„It’s very…. very difficult to express, sir, I apologise… what I can say is that we are children in a general way, you see.“

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In Wenders’ film ‘Der Himmel über Berlin’ (Wings of Desire), the angels walk around observing us, collecting anecdotes from our daily lives, and meeting in car showrooms to share their notes with each other.  As they move around, they’re invisible – but not to children. It’s like the kids are their easygoing allies, with eyes, feet and agency in both real and spiritual spaces. And yet, in a kind of corollary to the angels’ inability to experience anything more than a view onto mortal life, we know that kids usually don’t get to pull the levers in how society works (the starting point for Darren O’Donnell’s great book ‘Haircuts by Children’, quoted at the beginning of Two Adults and a Child). I started to imagine today’s children gathering, like the angels, and tried to imagine what their notes might be like.

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Ernesto était censé ne pas savoir encore lire à ce moment-là de sa vie et pourtant il disait quil avait lu quelque chose du livre brûlé. Comme ça, il disait, sans y penser et même sans le savoir quil le faisait, et puis quensuite eh bien quensuite, il ne s’était plus rien demandé ni sil se trompait ni sil lisait en vérité ou non ni même ce que ça pouvait bien être, lire, comme ça ou autrement. Au début il disait quil avait essayé de la façon suivante : il avait donné à tel dessin de mot, tout à fait arbitrairement, un premier sens. Puis au deuxième mot qui avait suivi, il avait donné un autre sens, mais en raison du premier sens supposé au premier mot, et cela jusqu’à ce que la phrase tout entière veuille dire quelque chose de sensé. Ainsi avait-il compris que la lecture c’était une espèce de déroulement continu dans son propre corps dune histoire par soi inventée.

At this point in his life Ernesto was not yet supposed to be able to read, however he did say that he’d read something from the burnt book. Just like that, he said, without thinking about it, without even knowing he was doing it, and that afterwards, well, afterwards, he didn’t ask himself whether he was wrong, or whether he was really reading or not, or even what it might be, to read, like this or otherwise. At first he said that he’d begun like this: he would assign, to any given outline of a word, quite randomly, a first meaning. Then he gave the second word that followed that another meaning, but one that was due to the first word’s assumed first meaning, and so on until the whole sentence ended up making some kind of sense. In this way he had understood that reading was a kind of continuous unfolding of a self-invented story, inside of one’s own body.

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About ten years ago I used a residency in Helsinki to try and find a way to let the two main characters in Waiting for Godot speak in a way that for me could make sense. They ended up whispering. I could imagine them singing (that doesn’t happen in the play), but not speaking out loud.

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Quelquefois les brothers et les sisters, on dirait des petits animaux agglutinés les uns aux autres dans le sommeil, leurs cheveux les recouvrent de blondeur, leurs petits pieds sortent de dessous le tas. Quelquefois ils sont épars comme des petits enfants quon aurait jetés là dans un coin. Quelquefois on dirait quils ont cent ans, quils ne savent plus rien de comment on vit, de comment on joue, de comment on rit. [] Ils pleurent tout bas. Ils disent rien de ça quils pleurent, mais rien. Ils disent : cest rien, ça va passer.

Sometimes the brothers and sisters look like little animals clumped together in sleep, covered in blondness by their hair, little feet sticking out from under the pile. Sometimes they’re scattered like little kids someone’s thrown into a corner. Sometimes it’s like they’re a hundred years old, like they no longer know anything about how we live, how we play, how we laugh. […] They cry softly. They don’t say anything about that, that they’re crying, nothing at all. They say: it’s nothing, it will pass.

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From „Poetics of childhood in Marguerite Duras“ by Anne Cousseau:

In the last sentence, a direct quotation from the „brothers and sisters“, we find the same type of grammatical incorrectness as in the previous sentences, as if the narration reproduced childlike speech. And yet the use of the adjective „scattered“ testifies to a certain lexical research that cannot be attributed to children: a curious mixture, here again, that plays on the mimicry of childish speech, while ostensibly maintaining a certain distance between the narrator and the characters. 

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In 2008 a job led me to work with the writer and philosopher Mladen Dolar. This is from what he wrote that year:

The voice is an invisible bodily missile, it consists in the mere passage from an inside to an outside, thereby producing both. It is itself neither inside nor outside, but in the transition, in the passage, in the extension. Its intension is its extension. But the voice is not on either side, it is what both enables this division and blurs it, it produces it and makes it paradoxical. There is a beautiful passage in Beckett, in The Unnamable:

“… I’ll have said it, without a mouth I’ll have said it, I’ll have said it inside me, then in the same breath outside me, perhaps that’s what I feel, an outside and an inside and me in the middle, perhaps that’s what I am, the thing that divides the world in two, on the one side the outside, on the other the inside, that can be as thin as foil, I’m neither one side nor the other, I’m in the middle, I’m the partition, I’ve two surfaces and no thickness, perhaps that’s what I feel, myself vibrating, I’m the tympanum, on the one hand the mind, on the other the world, I don’t belong to either”.

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Les enfants, c’étaient des gens comme ça, qui comprenaient quon les abandonne. Sans comprendre, les enfants, ils comprenaient. Sans comprendre labandon, ils le comprenaient. C’était en quelque sorte naturel. Quon ait ce mouvement dabandonner les enfants à un moment donné, douvrir les mains et de lâcher, c’était naturel. Eux, leurs billes les plus belles, ils les perdent, alors. C’était aussi naturel quils sagrippent à la mère, quils ne veuillent pas la lâcher. Eux, les brothers et les sisters, ils avaient encore dans la tête les espaces des premiers âges. Des espaces sombres, des peurs inintelligibles, inconsidérées, dautoroutes désertes par exemple, dorages, de nuits noires, de vent. Allez voir ce que ça dit certaines fois le vent, ce que ça crie.

The children, they were like that, people who had understood that we abandon them. Without understanding, they understood, the children. Without understanding abandonment, they understood it. It was somehow natural. That we have this movement of abandoning children at a given moment, of opening one’s hands and letting go – it was natural. So they lose their most beautiful marbles. It was as natural for them to cling to the mother, not wanting to let her go. They still had the spaces of the first years in their heads, the brothers and sisters. Dark spaces, unintelligible, mindless fears, of deserted motorways for example, of storms, of dark nights, of wind. Go and discover what the wind sometimes says, what it shouts.

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I’m with Rita (who as dramaturg has shaped this piece importantly) talking with her father Alan Pauls – a writer and critic from Argentina – about Greta Thunberg, who to our surprise he’s never heard of. A few weeks later Rita shares a new text he has written. 

„This is all wrong,“ she said last Friday in New York: „I shouldn’t be here. I should be at school, on the other side of the ocean.”

She was repeating Brecht’s heartbreaking dictum, in her own way:  „Wretched is the country that needs heroes“. It is another milestone on the heroic path: the moment when the hero discovers that her existence is not the solution to an unjust state of affairs but its symptom, its most decisive proof. In normal times, heroes are nature taken to its extreme limit.

Child heroes, on the other hand – and this is perhaps what makes someone like Greta Thunberg so fascinating – are an incongruity, a kind of aberration, an unnatural freak phenomenon. As unnatural as parents burying their children.

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With thanks to Mladen Dolar (quote from his work for Manifesta 7, “The Voice and the Fortress”, 2008), and to Alan Pauls for his text “Niños héroes”, available at tinyurl.com/4b7u3jnz

Ende Juni zogen die apokalyptischen tänzerin*nen auf unserer Probebühne ein, um an ihrem neuen Stück zu arbeiten, das Ende Juli  am Theaterhaus Premiere feiert und im Dezember 2021 an der Rampe zu sehen sein wird. Ein kurzer Arbeitsbericht der Gruppe:

Am Anfang war ein Eis – ein Arbeitstreffen in der Eisdiele Claus, oder war es doch die Eisdiele Bernd? Dort wo alle Eissorten grau sind und die Sorten stets über den Geschmack erraten werden müssen? Ein gefährlicher Ort für Unverträglichkeiten und Allergien. Eis voller Nervenkitzel. Eis und Nervenkitzel sind auch in WUNDERLAND keine Unbekannten – die Weiße Königin, Weiße ist ihr Vor- und Königin ihr Nachname, isst stets Zitroneneis, wenn sie gestresst ist, zur Beruhigung der Nerven…

Auf der Probebühne proben wir für WUNDERLAND, und wundern uns auch immer mal wieder – Sophia, die Regieassistenz, findet Wunderland inzwischen ziemlich normal, jetzt verursachen nur noch singende Eltern größere Verwunderungen. Rennauto-fahrende Pflanzenmenschen und Burger-verschlingende Topfpflanzen sind Alltag geworden. Am 8. Juli kam der Autor auf die Probe – wir waren alle sehr nervös und die Rampe-Intendantin Martina Grohmann hat uns große Angst gemacht, dass ein Autor*innenbesuch auf der Probe sehr unangenehm sein kann. Wir hatten Glück, bisher konnten wir Mugetha Gachago von unseren Ideen überzeugen. Wir hoffen, das bleibt auch in Zukunft so. Langsam fließt der Text auch in unseren Alltag ein. In der Mittagspause sprechen wir Phrasen aus dem Stück. Unsere Plakate sind angekommen. Grün. Grellgrün. Hoffentlich hängen sie bald überall in der Stadt.

Am 9. Juli kommt der Intendantin*nen-Besuch mit Martina Grohmann. Auch das macht etwas nervös. Außerdem kommt noch Peter von der Nikolauspflege. Peter hilft uns dabei die Inszenierung auf Zugänglichkeit für blinde- und sehbehinderte Menschen zu überprüfen.

Das Wetter ist Grau und verregnet. Die Gewitter sind spannender als Fußball. Und wir ziehen leider schon wieder aus der Rampe aus und in die städtischen Probebühne ein…

Am Freitag, 30. Juli 2021, 19 Uhr, feiert unsere aktuelle Produktion WUNDERLAND (UA) Premiere am Theaterhaus Stuttgart.

“Ach… da habe ich eine saure Gurke vergessen. [Schmatzgeräusche]”

Bei WUNDERLAND begeben sich die apokalyptischen tänzerin*nen gemeinsam mit der feministischen Influencerin Alice auf einen musikalischen, performativen Roadtrip, nach dem gleichnamigen Stück von Mugetha Gachago.

Mit WUNDERLAND geht die Zusammenarbeit des Kollektivs mit Mugetha Gachago nach forever apocalyptic und following mo in die dritte Runde. Der Autor schreibt Wunderland für Performance und Chor.

Weitere Vorstellungen am Theaterhaus:

31. Juli, 19 Uhr  und 1. August, 11 Uhr

Vorstellungen am Theater Rampe:

3. Dezember, 20 Uhr

4. Dezember, 16 Uhr

5. Dezember, 11 Uhr

www.apocalypse.dance

Im Mai 2021 waren Julia und Till von MOBILE ALBANIA am Theater Rampe zu Gast. Ihr Residenzbericht besteht aus einem kurzen Text, einem Video ihrer Sperrmüllfahrt durch 70180 Stuttgart sowie einem Audiozusammenschnitt ihrer Verfassungen über den „Rampenhof bzw. den Zackenmuldenhof“. Seht selbst:

Wir fahren, wir schauen, wir sehen, wir entdecken, wir bleiben stehen, wir drehen uns um, wir begrüßen die Nachbarschaft, wir fragen, wir lassen uns erzählen, wir diskutieren, wir atmen tief aus, wir lachen, wir schauen uns um. Was ist hier? Was liegt hier? Was will damit gemacht werden? Wir analysieren die Haufen, die Umgebung, das Theater, den Rampenhof, verfassen uns und archivieren…

Die Arbeit vor Ort in Stuttgart war u.a. eine Recherche für die weiterführende Arbeit „Die Müllanfuhr /die Rumpelkammer Berlins“ (AT), welche im September in Karlshorst & Lichtenberg in Berlin stattfindet – in Kooperation mit der Stiftung Stadtkultur/KAHO-Raum für Kultur.

https://vimeo.com/manage/videos/573044390

Hier sind vertonte „Verfassungen“ zu finden. Dies sind Raumbeschreibungen und Ortserfahrungen, die von MOBILE ALBANIA im Rahmen der Residenz geschrieben wurden.

Am Freitag, den 19.03.2021, feierte der Vlog MP, PLACE TO BE des Jungen Volks*theaters seine Online-Premiere. Im Vlog geht es um den Marienplatz und alles, was es darauf gibt – oder geben könnte. Die fünf Ensemble-Mitglieder entwerfen in ihren Rollen als Youtube-Kunstfiguren ihre eigene Marienplatz-Vision und führen die Zuschauer*innen in eine verrückte Zukunft der Stadt.

So tritt Lajla Durakovic als Expertin für Entspannung und Beauty auf, die den Marienplatz als große Wellnes-Oase vorstellt. Sie zeigt, dass es sich bei der Treppe des Marienplatzes um eine Wärmetreppe handelt, deren Nutzweise sie ihren Zuschauer*innen auch gleich demonstriert. Candy Lee Kimberg berichtet von ihrer Leidenschaft für Musik und präsentiert, wie einen der Brunnen am Marienplatz wie Beyoncé singen lässt. Nebojša Stojanović tritt als Gamer auf und präsentiert die technischen Innovationen des Platzes: In der Zacke sieht er eine fahrbahre LAN-Partys, den Mülleimer bestimmt er als Virenscanner.

In Batuhan Kars Video erscheint derselbe Mülleimer als Fotobox. Als Fashionblogger klärt Batuhan seine Follower*innen darüber auf, welche versteckten Schätze der Marienplatz für Modeinteressierte birgt. Eine Bluetooth-Box, die aussieht wie ein Stein und Tanzeinlagen auf den Aerobic-Treppen mit Publikum finden die Zuschauer*innen bei Joel Hakelberg, in dessen Video sich alles um das Tanzen dreht. Auf diese Weise entstehen fünf Paralleluniversen, in denen der Marienplatz mit einer jeweils eigenen Welt überschrieben wird.

Das Junge Volks*theater ist ein Kooperationsprojekt mit der Schickhardt-Gemeinschaftsschule und dem Jugendhaus Heslach unter der Leitung der Theaterpädagoginnen Siri Thiermann und Larissa Probst. Der erste Probenteil fand in der Schickhardtschule und im Theater Rampe statt. In den Proben entwickelte das Ensemble in Improvisationen und Theaterübungen szenisches Material, lernte Grundlagen des Theaterspielens kennen und betrieb Feldforschung auf dem Marienplatz.

Aufgrund des Lockdowns wurden die Proben schließlich ins Digitale verlegt. Auch hier wurden Ideen gesponnen, wurde Theater gespielt und schließlich die Idee des Vlogs geboren. In den Online-Proben schrieben die Ensemble-Mitglieder am Drehbuch, recherchierten und analysierten Vlogs aus dem Internet und entwickelten ihre verschiedenen Marienplatz-Welten. Mit ihren eigenen Handys drehten sie schließlich die Videos.

Wer den Vlog noch besuchen möchte: Der Link kann unter karten@theaterrampe.de angefordert werden.

Laura Schilling widmet sich im Rahmen ihrer #TAKECARERESIDENZ einer szenischen Recherche über den „Lübcke-Prozess“, den sie am OLG Frankfurt beobachtet hat: Wie übersetzt sich das rechtliche Geschehen in künstlerische und gesellschaftliche Resonanzräume? Das Theater als „andere“ Öffentlichkeit dient als Raum der Orientierung für die Frage: Wie kann man der Normalisierung rechter Diskurse entgegentreten? Hier ein kurzer Arbeitsbericht der Künstlerin:

Es ist kurz vor sechs Uhr am 16.06.2020, im dämmrigen Morgenregen vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat sich eine lange Warteschlange gebildet. In dem Gebäude gleich um die Ecke der Konstablerwache wird in vier Stunden der Prozess gegen Stephan Ernst und Markus H. eröffnet. Verhandelt wird der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der rassistische Angriff auf Ahmed I.

Vor dem Gerichtsgebäude, über dessen Eingang Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ in groben, sperrigen Buchstaben geschrieben ist, stehen Journalist_innen teilweise seit den späten Abendstunden des Vortages an. Ein Journalist erzählt uns, dass er für das Freihalten eines Platzes über Nacht 200 Euro gezahlt habe. Der Prozess in Frankfurt steht unter besonderer Beobachtung: Juristisch ist der Strafprozess ein Staatsschutzverfahren wegen des politischen Charakters der Straftat. Medial erfährt der Prozess erhöhte Aufmerksamkeit, weil ein Neonazi mutmaßlich zum ersten Mal seit 1945 einen Politiker ermordete.

„Prozessbeobachtung“ ist der Versuch den über sieben Monate laufenden Gerichtsverhandlung performativ zu befragen. Wie kann eine Übersetzung des rechtlichen Geschehens in künstlerische und gesellschaftliche Resonanzräume geschehen? Wie ist sie bereits geschehen? Wir beginnen diese Erinnerungsarbeit, in der unsere subjektiven Erfahrungen als Zeug:innen des Verfahrens durch intersubjektive Erinnerungen der Medien, die Narrative der Öffentlichkeit, versuchte objektive Prozessprotokolle herausgefordert werden. Wir werden zu doppelten Zeug:innen: Wir können bezeugen, wie Zeug:innen während der Verhandlungen versucht haben sich zu erinnern, während wir uns in dem Prozess selbst zu erinnern versuchen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist neben dem Mündlichkeitsgrundsatz und Unmittelbarkeitsprinzip eine Prozessmaxime des Strafrechts, die nur in absoluten Ausnahmen eingeschränkt werden darf. Aber welche Öffentlichkeit sitzt eigentlich im Gerichtssaal? Wer wohnt der Verhandlung bei? Wie halten wir das Gesehene, Gehörte, Gefühlte fest? Über die Ausgestaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes kann der Strafsenat entscheiden und der vorsitzende Richter Sagebiel hat entschieden, dass keine elektronischen Geräte im Publikumsraum erlaubt sind. Erinnern heißt, assoziativ statt wortwörtlich, subjektiv statt dokumentarisch vorzugehen. Beobachtungen werden nachträglich nach Schwerpunkten und Thematiken geordnet, statt chronologisch wiedergegeben, sind oftmals unverfügbar, bis sie durch eine Gesprächssituation wachgerufen werden. Vergessen ist Teil unserer Prozessbeobachtung, der keine unmittelbare Stütze erlaubt ist, denn ohne Akkreditierung darf nicht mitgeschrieben werden. Unsere Prozessbeobachtung ist darauf angewiesen, sich zu erinnern. Zur Begleitung des Prozesses haben wir wöchentlich ein Podcastformat aufgenommen, in dem wir über unsere Beobachtungen und Wahrnehmungen gesprochen haben.

Die erste szenische Versuche innerhalb des Residenzzeitraums waren Hinweise für uns und eingeladene Betrachter:innen, dass die künstlerische Bearbeitung des Prozesses und der gesammelten Erinnerungen performativ etwas ‚Anderes‘ als die Medienberichterstattung über diesen Prozess entstehen lässt. Diese ‚andere‘ Öffentlichkeit des Theaterraums kontextualisiert die Öffentlichkeit des Gerichtraums. Denn diese bleibt, wie Cornelia Vismann, Medientheoretikerin, herausstellt, immer auch ein Ideal: Die Architektur des Gerichtssaals ist immer zugleich die Umsetzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes. „Es beginnt mit dem Rückzug in ein geschlossenes Gebäude, in dem die Zahl der Sitzplätze über die Größe der Öffentlichkeit entscheidet.“ (Vismann 2011, 134) Diese andere Öffentlichkeit bleibt auch der Raum, in dem eine andere Erzählung von dem Prozess stattfinden kann, eine andere Erzählung über Hass, rechte Gewalt und Rassismus. Ein anderer Raum, in dem Betroffenen zugehört wird. Ein anderer Raum, in dem Rassismus und rechte Gewalt nicht normal sind. Ein anderer Raum, in dem wir entwerfen können, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Artikelreihe diskus: https://diskus.copyriot.com/news/prozessbeobachtung-mythos-einzeltaeter

Kontaktmöglichkeit: prozessbeobachtung@gmx.de

Josephine Stamer, Arthur Romanowski, calendal und Laura Schilling trafen sich in Gießen beim Studium der Angewandten Theaterwissenschaft. Gemeinsam interessieren sie sich in ihrer Theorie und ästhetischen Praxis für gesellschaftliche und politische Strukturen der Vergangenheit und Gegenwart, ohne den Fluchtpunkt eines zukünftigen emanzipierten Miteinanders aufgeben zu wollen. In unterschiedlichen Konstellationen arbeiteten sie gemeinsam an Theater-, Performance-, Choreografie- oder Soundprojekten kollaborativ.

Josephine Stamer (*1992) ist wohnhaft in Köln und arbeitet als Performerin, Sounddesignerin, DJ und Kuratorin. Sie studiert aktuell Klang und Realität an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. Sie arbeitet in verschiedenen Konstellationen und in verschiedenen Rollen an künstlerischen Projekten – meist an den Schnittstellen zwischen Klang, Bewegung und Installation.

Arthur Romanowski, (*1992) geboren in Berlin, arbeitet als Autor, Performer und Regisseur. Mit Irgendwas für Irgendwen an Irgendeinem Tag im Juni erhielt er 2018 den Jury-Preis der Körber Stiftung.

Laura Schilling (*1995) geboren in Wurzen, Sachsen, lebt zurzeit in Frankfurt a.M., wo sie den Masterstudiengang Curatorial Studies an der Städelschule und Goethe-Universität Frankfurt absolviert. Sie arbeitet als Kuratorin und Dramaturgin. calendal, (*1994) geboren und aufgewachsen in und um Berlin und Bremen, arbeitet mit choreographischen, performativen und szenografischen Mitteln als Teil der apokalyptischen tänzerin*nen, solo und in weiteren kollaborativen Arbeitsformen an Fragen wie sich Gesellschaften strukturieren, wie solidarische Strukturen in einer neoliberalen Gesellschaft denkbar sind und wie, auf massivem Unrecht beruhende, Hierarchien und Verhaltensmuster dekonstruiert und entlernt werden können.


Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR. Der Fonds Darstellende Künste hat im Rahmen seines Programms #TAKETHAT ein Förder-Modul für Künstler*innen-Residenzen an Theaterhäusern eingerichtet, die im Bundesnetzwerk FLAUSEN+ organisiert sind. So kann auch das Theater Rampe 13 Künstler*innen aus seinem Umfeld diese #TAKECARERESIDENZ ermöglichen und begleiten.

Seit Anfang Dezember heißt es auf dem Marienplatz: „Suppe für alle“. Immer sonntags lädt die Bürgerstiftung Stuttgart in Kooperation mit dem Ensemble des VOLKS*THEATER RAMPE von 12 bis 13 Uhr zum Essen auf dem Marienplatz ein. Zur kostenlosen, warmen Suppe in Gläsern gibt es Gedichte oder Zeichnungen des VOLKS*THEATER-Ensembles to go!

Die Aktion knüpft an die jährliche Vesperkirche an, bei der Essen kostenlos oder für kleines Geld verteilt wird. So wird jedes Jahr ein Treffpunkt für viele verschiedene Menschen geschaffen und darüber hinaus Unterstützung für Bedürftige geleistet. Durch die Aktion sollen Stuttgarter*innen für die Situation von Menschen in prekären Lebenslagen sensibilisiert werden. Da die Essensausgabe auf diese Weise aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Winter nicht möglich war, ist die Essensverteilung mobil geworden und hat sich über die gesamte Stadt verteilt.

Das VOLKSTHEATER stieß auf die Aktion und beschloss, dass es auch am Marienplatz eine mobile Essensausgabe geben solle. Also wurde ein Wagen gestaltet, der nun jeden Sonntag zum Marienplatz gebracht wird. Verschiedene Mitglieder des Volkstheaters engagieren sich dabei – auch künstlerisch, indem sie zusätzlich zur Suppe auch selbstgeschriebene Texte und Gedichte to-go anbieten und sich manchmal zu spontanen künstlerischen Aktionen verleiten lassen. Damit sind sie jedoch nicht alleine – auch andere Helfer*innen steuern von Zeit zu Zeit eine Gesangseinlage bei.

Viele Helfer*innen begleiten diese Aktion: Der Eintopf im Glas wird im Januar gekocht vom Gasthaus Das Lehen und im Februar vom Da Loretta. Tatkräftig unterstützt wird die Aktion auch vom Verein Helfende Hände e.V., einer Initiative im Gebrüder Schmid Zentrum.