Insight RAMPE 23: “Nichts ist absolut”

Gemeinsam mit der Prozessbegleiterin Handan Kaymak arbeitet die Rampe seit April 2021 für die verbleibenden zwei Jahre bis zum Leitungswechsel an Themen wie Machtstrukturen, Rassismus, Klassismus und generellen Öffnungsprozessen. Wir, die Arbeitsgruppe „Rampe23“, bestehend aus Anna Bakinovskaia, Paula Kohlmann und Kathrin Stärk, wollen unsere Erfahrungen aus dem Prozess in diesem Blogbeitrag mit euch teilen. 

Seit einem Dreivierteljahr beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage, wie konsequente Öffnung eines Theaters unserer Größe gelingen kann. Wir tun dies am Beispiel des Ausschreibungs- und Findungsprozesses der neuen Leitung 2023. In den vergangenen Monaten haben wir erfahren, wie die Arbeit an diesem Projekt direkt in unser alltägliches Tun am Theater einfließt. 

Jeden Monat treffen wir uns als Arbeitsgruppe für eine ca. fünfstündige Sitzung mit Prozessbegleiterin Handan Kaymak. In diesen Sessions lernen wir, welche festgefahrenen Denkmuster wir in unseren Überlegungen immer noch verankert haben und wie wir täglich daran arbeiten und üben müssen, andere Perspektiven miteinzubeziehen.

Gleichzeitig sind diese Treffen ein geschützter Raum, in dem wir unsere eigenen Unsicherheiten, Erfahrungen, Wahrnehmungen und offenen Fragen teilen können. Denn eine Frage schwingt immer mit: Was haben allgemeine Gerechtigkeitsthemen mit unserem Umgang untereinander zu tun? Natürlich verändern sich durch solche Reflektionen auch gewisse Abläufe im Team. Einiges hat sich seither schon verändert, zum Beispiel fallen uns zunehmend eigene Verhaltensmuster oder unserer Kolleg*innen auf. Wir merken auch, dass wir bestimmte Erwartungen, die an den Öffnungsprozess gerichtet werden, nicht erfüllen können.

Was am offensichtlichsten ist: Die Auswirkungen dieses Prozesses sind erstmal eine Irritation, eine Störung. Denn es kommt jemand von außen dazu und sagt: Wieso laufen diese Dinge so-und-so? Wer hat das festgelegt, wer darf das entscheiden? Schaut hier nochmal genauer hin. Und das versuchen wir. Wie schwierig, anstrengend, zäh, mühsam und frustrierend das manchmal sein kann, hätten wir uns zu Beginn nicht vorstellen können.

Wir sind ein kleines Team von 14 Personen, die allesamt –  zwar auch kurz skeptisch – aber dann offen und bereit für diesen Prozess waren und sind.

Der Versuch, Dinge zu verändern, bedeutet ein ständiges Ankämpfen gegen ein System, das sich mit aller Kraft selbst zu erhalten versucht – in Form von ungeschriebenen Regeln, von Gewohnheiten, von Argumenten wie „Das war bisher immer so”, die fest in uns allen verankert sind. Es raubt Kapazitäten, sich diesen Denkmustern zu stellen und andere Dinge bleiben liegen. Diese Arbeit beansprucht viel Zeit. Wieviel Zeit? Zu viel Zeit?

Zum Prozess gehört auch, dass wir immer wieder die Erwartung enttäuschen müssen, dass nach so vielen Monaten nun endlich die richtigen Maßnahmen aufgesetzt und umgesetzt werden können. Damit sich WIRKLICH etwas ändert. Damit etwas sichtbar wird. Es ist nur so: Die Veränderung hat längst begonnen. In unseren Köpfen. Das ist nicht immer sofort erkennbar, zumindest nicht für Kultureinrichtungen, die sich als politisch begreifen und die es gewohnt sind, Ergebnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren. Botschaften zu teilen, die sich in Ausstellungstiteln manifestieren, auf Bannern gedruckt an die Fassade gehängt oder in einer Publikation verewigt werden. Institutionen, die ihre kritische Haltung auf der Bühne in Glitzerschrift oder auf Podiumsdiskussionen gut eingebettet in den aktuellen Diskurs verkünden.

All das ist gut, aber es lenkt ab von der eigentlichen Veränderung, die nötig ist:

Welche Diskussionen dazu hinter den Kulissen stattfinden, wird oft nicht öffentlich besprochen, weil diese Geschichten von Unsicherheit, Verletzbarkeit und Scheitern erzählen. Sich Zeit zu nehmen für solche Reflektionen ist schwierig, denn das Arbeitspensum in Kultureinrichtungen ist überall hoch. Auch wir schaffen es noch nicht, unseren Kolleg*innen regelmäßig von unseren Lernprozessen zu berichten, sie einzubinden und mitzunehmen.

Wie kann Transparenz passieren? Wie können wir unsere Erfahrungen unseren Kolleg*innen näher bringen? Dafür nötig sind Zeit, Aufmerksamkeit und Verantwortung. Was wir versuchen zu teilen: Unser Auf-der-Suche-sein, immer wieder neu justieren, neu hinterfragen. Und immer wieder erinnern: Es gibt keine Checkliste, wir können nicht wissen, was wir alles lernen müssen. Nur immer wieder erkennen, was wir noch nicht wissen.

Dies haben wir auch bei der Veranstaltung “IF YOU GOT IT, GIVE IT – öffentliche Beratungen und Diskussionen zum Leitungswechsel” getan. Zusammen mit unserem Kolleg*innen und externen Gästen, die Inputs zu Themen wie unsichtbarer Barrieren, Rassismen und neuen Leitungsmodellen gegeben haben. Viel Publikum war da, aus Stuttgart, aber auch von außerhalb: uns bisher unbekannte Kolleg*innen aus Kultureinrichtungen, in denen auch Leitungswechsel stattfinden, die sich ähnliche Fragen stellen. Dieses Interesse, der Austausch und die Diskussionen, das Feedback und die offenen Fragen haben uns als Theater Rampe bestätigt, wie wichtig es ist, im Prozess um Veränderung dranzubleiben.

Hier findet ihr die Protokolle von “IF YOU GOT IT, GIVE IT – öffentliche Beratungen und Diskussionen zum Leitungswechsel”:

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