Labor Report Tag 9: Gruselkabinett

Auf Kohlleinwand wird gezeigt: Das grosse Fressen. Auf dem Laptop wird gezeigt: „Es werde Licht“. Bei „Es werde Licht“ werden Menschen portraitiert, die behaupten, ohne physische Nahrungsaufnahme überleben zu können. Der Dok-Filmer reist um die ganze Welt und trifft Nicht-Esser in Basel, Australien, China, Indien, Russland, Österreich. Der Alpen-Yogi kommt zu Wort, der Diät-Arzt (Hauptmerkmal: Überlegenes Lächeln), der von den Göttern geküsste Inder, der weise Chinese, die reiche Esorine (sie isst nichts, und verdient sich damit eine goldene Nase), die lichtfressende Russin mit den Speckröllchen, der tennisspielende Sucher, der sich freiwillig in Untersuchung begibt, und nicht zuletzt der amerikanische Quantenwissenschaftler, bei dem sowieso jedem die Argumente ausgehen, weil er empirisch nachweisen kann, dass die Welt nicht ist, was sie scheint. Der ganze Film ist in seiner Argumentation so manipulativ, dass man keine Ahnung hat, was man davon halten soll. B hat eine klare Meinung: Die Protagonisten des Films sind entweder Betrüger oder Psychotiker. Den einen Fall kennt er aus eigener Anschauung und weiss, welche Informationen der Film unterschlägt: Etwa, dass die betroffene Person im Laborversuch ein Kilogramm pro Tag abgenommen hat – was genau dem erwarteten Wert entsprach, und auch, dass die Person sich weigerte, dass der Wissenschaftler dessen Wohnung untersucht (Auf der Suche nach Hochleistungsnahrungsriegeln), sowie sich weigerte, dass auch seine Frau untersucht wird. B´s Verdikt: „Das ist eine psychotische Abhängigkeitsbeziehung. Sie füttert ihn nachts. Wahrscheinlich weiss er das nicht, und es ist nicht einmal sicher, ob sie das weiss. „. Zu Wort kommen auch Menschen, die versucht haben, sich von Licht zu ernähren, und den Versuch abgebrochen haben – einer versucht es sogar live und dokumentiert alles per Videotagebuch. Nach einer Woche ohne Essen und Trinken gibt er auf. Selbstverständlich hat er es falsch angepackt und ist selber schuld. Die grosse Gurunesin der Ernährungslosigkeit liess sich im Krankenhaus tagelang unter die Lupe nehmen. Nach wenigen Tagen ohne Essen wurde der Versuch (gegen ihren Willen) wegen Gefährdung des Lebens abgebrochen. Die sympathische Chinesin, die alles mit Chi und weiteren Kräften erklärt, wirkt noch am glaubhaftesten. Ist das wirklich der Weg, dem Problem des Materialismus zu entkommen? Warum verbreiten die Lichternährer ihre Lehre nicht in hungerleidenden Gesellschaften? Europa hat wohl genau den richtigen Hunger: Den Metaphysischen. Und man weiss nicht, ob lichtessende Chinesen einem chinesischen Kamerateam  dasselbe erzählen würde, und was der indische Arzt seinen indischen Kollegen sagt. Der Inder, der seit 60 Jahren nichts isst, wer mag er sein? Die vier Freunde, die sich in „Das grosse Fressen“ zu Tode essen, sind gegen das Gruselkabinett der Lichternährer direkt zum Knuddeln. Ach Metaphysik! Sähe sie nur so aus, wie ich mir wünschte, mit weisen Lehrern und einfachen Regeln. Der Exzess, sich zu Tode zu fressen, ist nicht weit von dem anderen Exzess, sich zu Tode zu hungern entfernt. Der Wunsch, die Selbstkontrolle zu verlieren, der Wunsch, die totale Kontrolle zu übernehmen.

Ach Leben

Wärs Du nur so, wie ich dächte

Könnte ich Dich, ach, in die Hand nehmen, streicheln, hervorzaubern und wegsperren wie mir beliebte

Ach

Leben

Könnte ich Dich nach meinem Bilde formen

Ausschliessen, was nicht reinpasste

Einschliessen, was reinmüsste

Und müsste ich nicht

Schritt für Schritt

Mühsam

Immer wieder neu dich

durch Abenteuer

Luftsprünge

Seitenhiebe

Faustschläge

Niederlagen

Tauchgänge

Klettereien

Handschlägen

Blickwechsel

Neu erfahren

Ach, ich hätte mich längst mit Dir auf eine Wiese gelegt

Die  Monate

froh

durchschlafen.

(Indiana Jones)

AL 31.1.2014

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